Abgrund des Schöpferischen Die vielfältigen Formen von
'Nicht(s)-tun' im Theater, das Schweigen, das Ausharren, das Warten oder die
Langeweile, die in Performance-Texten des 20. Jahrhunderts zunehmend zur Sprache kommen,
scheinen mir als Merkmal von Theaterpraxis für eine gegenwärtige Reflexion von
Theatererfahrung von Bedeutung.(1) An den unterschiedlichen Erscheinungsformen von
Aktionslosigkeit in der darstellenden Kunst im 20. Jahrhundert lässt sich vielleicht eine
Verschiebung im kulturellen Verständnis von Ereignishaftigkeit beobachten. Der sichtbare
Entzug, das Ausbleiben von Aktivität oder die bewusste Enttäuschung einer bestimmten
Erwartung im Theater vermag ein durch nichts oder nur durch 'nichts'
hinterfragbares Einverständnis in Frage zu stellen, dass immer im sogenannten
künstlerischen Ereignis etwas passieren muß. In der traditionellen und bis heute üblichen Anlage eines
Theaterraumes (der Guckkastenbühne) ist die zumindest körperlich passive Haltung –
eine Art Sitzen wie in einem Wartesaal – eine Voraus-Setzung für mögliche Aktionen
auf der Bühne. Das Publikum sitzt still da und tut nichts weiter als auf die Bühne zu
blicken und darauf zu warten, dass etwas passiert. Trotz dieser strikten räumlichen
Trennung von Produktion und Rezeption eines Theatergeschehens können Formen der
Kommunikation oder Interaktion zwischen Spielern und Zuschauern entstehen, die durch den
Rahmen, den gemeinsam geteilten Ort des Geschehens, im jeweils situationsspezifisch
veränderlichen Verhältnis von Darstellung, Langeweile und Schaulust möglich werden.
Kommt es zum Beispiel zu Bewegungen beim Publikum, die über das aktive Blicken und
anschließende Klatschen hinausgehen, können Irritationen im Ablauf des
Bühnen-Geschehens auftreten. Laut artikulierte sprachliche Äußerungen einzelner
Zuschauer, das Aufstehen vom Stuhl oder Verlassen des Theatersaals, können
Unterbrechungen oder sogar Spielabbrüche verursachen. Eine von Aufführung zu Aufführung
veränderliche Form der Kopräsenz von Akteur und Publikum – von Aktion und Inaktion
– bestimmt einmalig den Ereignisverlauf, den Rhythmus des Theatergeschehens in einer
spezifischen Theaterzeit. Als Reaktion auf die Krise geschlossener
Repräsentationsformen, des 'Tuns als ob' in der darstellenden Kunst, werden
seit der Avantgarde mit den Mitteln der Darstellung und im Verlauf von
Aufführungsprozessen raumzeitliche und körperliche 'Realitäten' des Spiels
thematisiert. Durch die (Wieder)Entdeckung der Aktivität des Zuschauens
oder einer möglichen Kommunikation künstlerischer Aktion durch den betrachtenden Blick
scheint auch die mehr oder weniger nur passive Teilhabe des Publikums in Frage gestellt.
Die erwartungsvolle Haltung des still dasitzenden Zuschauers erfährt unterschiedliche
Formen der Konfrontation im Rahmen der Aufführungssituationen selbst. An dieser
Umverteilung bzw. Auflösung der strikten Trennung von aktiver Produktion von Präsenz
seitens der Akteure und re-aktiver Rezeption eines ablaufenden Geschehens seitens des
Publikums scheint das Nicht(s)-Tun als ästhetisches Mittel zur gesteigerten
Wahrnehmbarkeit ins Spiel zu kommen. Im Zuge dieser Entwicklung lässt sich fragen, ob das
Nichts-Tun als ästhetische Form gerade in dem rätselhaften Spannungsverhältnis einer wahrnehmenden
Wahrnehmung (2) und dem zunehmenden Entzug von Fiktionalität im Spiel ansetzt. Das allmähliche Aufscheinen einer möglichen Interaktion
als wechselseitiger Bewegung von 'künstlerischer Handlung' und
'ästhetischer Wahrnehmung' bringt in der postmodernen Kunst vielfältige Formen
von Nichts-Tun hervor, die mehr oder weniger subversiv zu solchen der alltäglichen Leere
und Langeweile stehen, sowie zu den Strategien einer paradigmatischen Setzung des
andauernden Tuns, der zielgerichteten Produktivität, in deren Rahmen 'der'
postmoderne Mensch seinen jeweils individuellen Aktionsradius zu verlängern versucht. Im Theater lassen sich die ästhetischen Darstellungsmittel
des Nicht(s)-Tuns am ehesten in Begriffen wie der 'Stille', der
'Leere', der 'Monotonie', der 'Langeweile', der
'Langsamkeit', der 'Wiederholung' oder der 'Unendlichkeit'
fassen, die sich in diesem Kontext gerade durch die Paradoxie in der und der Benennung von
Unmöglichkeiten denken lassen. Darin wird als Frage laut, ob das Nichts-Tun als
Darstellungsprozeß immer auch die Unmöglichkeit des Nichtstun-Könnens anzudeuten
versucht, ob im Ausdruck des Nichts-Tuns die eigene Wahrnehmung (auch die des Künstlers
selbst) als wahrnehmende, als Interaktion von 'Innen' und 'Außen'
(3), thematisiert wird. Was sieht das Auge oder hört das Ohr in Räumen, in denen kein
Wissen im Voraus darüber besteht, ob es überhaupt 'etwas' zu sehen oder zu
hören gibt.
"Nichts ist schwerer zu wissen, als was wir eigentlich
sehen." Dieser Satz aus Merleau-Pontys 'Phänomenologie der
Wahrnehmung' lässt sich auf ein Sehen von Theater-Aktion hin lesen als die
vorläufige Beschreibung einer sinnlichen Verwirrung, eines Unverstehens im Spüren des
eigenen Blickes, einer Irritation im Wissen um das
'Wie-die-anderen-mich-sehend-Sehen'. John Cages 'Silent Pieces' Der amerikanische Performancekünstler John Cage hat in
seiner Konzeption einer stillen Musik Theatersituationen geschaffen, in deren Rahmen
Merkmale des Nichtstuns im Verhältnis von Aktivität und Inaktivität zwischen Zuschauer
und Spieler ins Spiel geraten. In Silent Piece (1952) werden gewohnte Erwartungen
der sitzend ausharrenden und still lauschenden Konzertbesuchers durch eine Form des
Nichtstuns der Akteure gestört. Die erwartete akustische Aktion, die im Rahmen der
Uraufführung als Klaviersolo unter dem Titel 4'33" angekündigt war, bleibt
aus. Für den Zeitraum von 4' und 33" wird eine Stille hörbar, die Cage in
einer Posteriori-Score nach der Uraufführung notiert als: "4'33". For any
instrument & combination of instruments. I: tacet – II: tacet – III: tacet.
The title of this work is the total length in minutes and seconds of this performance. At
Woodstock, N.Y., August 29. 1952, the title was 4'33" and the three parts were
33", 2'40" and 1'20". It was performed by David Tudor, Pianist,
who indicated the beginning of parts by closing, the ending by opening the keybord lid.
After the Woodstock performance, a copy in proportional notation was made for Irwin
Kremen. In it the timelengths of the movements were 30", 2'23" and
1'40". However the work may be performed by any instrumentalist(s) and the
movements may last any length of time." (4) Ein gleichzeitiges Nichtstun von Akteur und Publikum als
gemeinsam geteilter Situation entsteht in der Uraufführung von Cages Silent Piece
unter dem Titel 4'33". Nach Cages eigener Beobachtung zeigten die Leute sich
während der Uraufführung eher irritiert, als sich von dem Experiment zu einer Teilnahme
anregen zu lassen: "Die meisten Leute haben das Wesentliche nicht begriffen. Es gibt
keine Stille. Das, was man (bei meinem Stück 4'33") als Stille empfand,
war voller zufälliger Geräusche - was die Zuhörer nicht begriffen, weil sie kein Gehör
dafür hatten. Während des ersten Satzes (bei der Premiere) konnte man draußen den Wind
heulen hören. Im zweiten Satz prasselte der Regen aufs Dach, und während des dritten
machte das Publikum allerhand interessante Geräusche, indem sie sich unterhielten oder
hinausgingen." (5) Das Gegensatzpaar Ruhe und Aktivität (Tun und Nichtstun)
sollte für Cage ähnlich aufgefaßt werden können wie das von Klang und Stille. Ruhe
kann Aktivität bedeuten und als solche erfahren werden und umgekehrt. Dieser Gedanke wird
in Silent Piece konkret. Der Zuhörer, der sich in einem Konzertsaal eher in einer
gewohntermaßen ruhenden Situation glaubt, wird durch die unerwartete Nicht-Aktivität der
Instrumentalisten auf die Aktivität des Ortes, an der er selbst mehr oder weniger
teilhat, verwiesen. Die Erfahrung der Geräusche und Bewegungen im Raum kann er ruhig
genießen, indem er seine Sinne öffnet und sich auf die eigene Wahrnehmung konzentriert.
Jeder Zuschauer kann aktiv auf die Situation reagieren, indem er bewußt Geräusche
produziert oder hinausgeht. Die disziplinierten Instrumentalisten haben somit in ihrer
bewußten Nicht-Aktivität eine Art Vorbildfunktion im Umgang mit der Abwesenheit der
erwarteten Präsentation von Klängen. Cage will dem Publikum keine einzig richtige
Haltung vorschreiben, da das Stück sich gleichermaßen durch ein ruhiges wie aktives
Publikum konstituiert, was es und ihn als Komponisten von einer Abhängigkeit von den
Haltungen der Hörer befreit. Allerdings zeigt er sich gegenüber unruhigen und
verärgerten Kritikern wenig verständnisvoll: "Es gibt keinen Ort ohne Aktivität;
das manifestiert sich überall. (...) Demzufolge besteht der Unterschied zwischen
Aktivität und Passivität ausschließlich im Bewußtsein. Und das Bewußtsein entledigt
sich aller Leidenschaften (...): frei von Leidenschaften und Ekel. (...) Wenn sich also
das Bewußtsein auf diese Weise befreit hat, könnte man ebenfalls von Passivität
sprechen, obwohl noch eine Art Aktivität fortbesteht."(6) Zehn Jahre nach der Uraufführung von Silent Piece
sitzt John Cage während einer Japan-Tournee in einem Konzertraum in Tokyo an einer
akustisch verstärkten Schreibmaschine und schreibt ein Stück mit dem Titel
0'00" auf. Die hörbare Notation im Rahmen eines Konzertes war für Cage bereits
eine erste Aufführung, die wir in der Posteriori Score nachlesen können als:
0'00" (4'33" for the second time). For Yoko Ono. In a
situation provided with maximum amplification (no Feedback), perform a disciplined action.
- With any interruptions. Fullfilling in whole or part an obligation to others. - No two
performances to be of the same action, nor may that action be the performance of a
'musical' composition. - No attention to be given the situation (electronic,
musical, theatrical). The first performance was the writing of the manuscript (first
margination only).(7) Die Dauer der Aktion 0'00" ist beliebig, ihr
Ablauf unbestimmt. Was läßt sich über die raumzeitliche Kontinuität einer Performance
von 0'00" aussagen, die maximal verstärkt - jedoch ohne Rückkoppelung
(des hör- oder sichtbaren Aktionsflusses mit sich selbst) - und beliebig unterbrochen
sein kann? Eine Bewegung soll gefunden werden, die als ganze oder teilweise auf ein
Publikum hin gerichtet ist, der Situation als musikalischer, theatralischer oder
elektronischer Anlage jedoch keine gesonderte Aufmerksamkeit widmet. Die Aktion vollzieht
sich nicht zufällig, sie wird nicht improvisiert, sondern als unbestimmt bestimmte
ausgeführt. Sie braucht keine im voraus festgelegte zeitliche Struktur zu besitzen, sie
soll 'diszipliniert' ausgeführt werden, obwohl sie unterbrochen werden kann,
aber keine Wiederholungen zeigen. Der Titel verweist – in Anspielung auf 'Silent
Piece' – auch auf eine Möglichkeit des Stücks als 'Nullaktion', als Lücke im
Ablauf, in der sich im Moment der Aufführung nichts außer der Situation selbst ereignet.
Perform a disciplined action meint eine in sich geschlossene unabhängige Aktion,
die strukturell weder in einem musikalischen noch theatralischen oder technischen Sinn
komponiert sein soll. In der Uraufführung in Tokyo wird 0'00" im Bewußtsein
um die eigene Nachträglichkeit im Rahmen einer musikalischen Aufführung
'technisch' hervorgebracht. Cage be-schreibt in dem hörbar mechanischen
Rhythmus der akustisch verstärkten Schreibmaschine seine Spielanweisung (perform a
disciplined action ...), eine Widmung dieser Aktion (for Yoko Ono), den Ort ihrer
Uraufführung (Tokyo) und die Aktion ihrer Erstaufführung selbst als das, was gerade
passiert (the writing of the manuscript / first margination only/). Lassen sich in der Folge der Erstaufführung
Darstellungsmöglichkeiten für so beschriebene 'disziplinierte Aktionen', die lose in
einem öffentlichen Aufführungszusammenhang auftauchen, vorstellen oder spielt Cages
Aktionsschreibung von 0'00" nur mit dem Gedanken an ihre eigene Unspielbarkeit?
Im Gegensatz zu 4'33" ist eine mögliche Aktion für 0'00"
durch keine Parameterbestimmung genauer zu definieren und weder zeitlich noch räumlich zu
strukturieren. Eine Bewegung, die 0'00" darstellen kann, erscheint im oder als
'Off' der Performancezeit, indem sie sich aus dem raum-zeitlichen Kontinuum in
dessen strukturliefernder Funktion ausklinkt. "Perform a disciplined action / With
any interruptions /Fulfilling in whole or part an obligation to others"(8)
beschreibt die Form der Darstellung als vom Spieler selbst bestimmter, dessen
Konzentration sich einzig auf die Bewegung in der Aktion selbst richten soll. Die einzige
nähere Bestimmung der Aktion durch das Adjektiv 'disciplined' kann als
unbestimmte Angabe über ihren jeweils eigenen von den übrigen Aktionen unabhängigen
Rhythmus gelesen werden. Das dem Außen, den anderen Verpflichtet-Sein schafft nicht das
raum-zeitliche Kontinuum der Aktion, die jede beliebige Länge haben und unterbrochen sein
kann, sondern nur eine Richtung ihrer Entäußerung im Sinne eines Bewußtseins ihrer
augenblicklichen Öffentlichkeit. Inaktion als Konzept von Darstellung John Cage schlägt in seinen Theaterformen –
exemplarisch mit 'Silent Piece' – seinen 'Interpreten' ein
Nichtstun als eine Spielform vor, die als unbestimmte Experimentalanordnung Aktionen mit
offenem Ausgang ermöglichen. 'Alles' scheint im Rahmen des Verlaufs solcher
Situationen möglich, gerade wenn oder dadurch dass nichts bestimmtes passiert. Die
Spieler oder Zuschauer können darauf warten, dass 'etwas' passiert, bzw. darauf
reagieren, dass 'nichts' passiert. Es gibt keine Zuschauer, die nicht beteiligt
sind. Jede(r) trägt für sich den Verlauf der Situation mit, kann über das, was passiert
und nicht passiert, entscheiden. Eine Stille stellt sich in der Unbestimmtheit des
Nichtstuns ein, Stille taucht als die "Demonstration eines Desinteresses" auf,
in deren Rahmen ein bestimmtes Aussagen entzogen bleibt. "Kontinuität heute, wo sie
notwendig ist, ist eine Demonstration des Desinteresses. Das heißt, sie ist ein Beweis,
dass unser Vergnügen darin liegt, nichts zu besitzen. Jeder Augenblick zeigt, was
geschieht. Wie verschieden doch dies Formgefühl von jenem ist, das an Erinnerung gebunden
ist."(9) Theatersituationen, in denen über längere Zeit
nichts/Nichts demonstriert wird, zeigen die Grenzen von 'Realität' und Spiel
als Unmögliche, bewegen sich an der undefinierbaren Grenze zur Realität im Spiel des
Spiels. Die Demonstration des Desinteresses versagt die Bedeutung möglicher Aktionen,
indem ein Rahmen für eine raumzeitliche Stille, für einen unbenannten Rhythmus im und
ins Nichtstun gesetzt wird. Läßt sich über Aktionen sprechen, die noch nicht
(nicht-) bzw. noch bevor sie stattgefunden haben oder über das Ausbleiben von Aktion? In Cages Situationen aus 'Nichtstun' lässt sich
von theatralen Versuchsanordnungen sprechen (theatral im Sinn der gesteigerten
raumzeitlichen und körperlichen Wahrnehmbarkeit in einer gemeinsam geteilten Situation),
in denen sich im Zuge einer wahrnehmenden Wahrnehmung für das Nichts dessen, was den
Rahmen dieser Situation ausmachen könnte, eine raumzeitlich und sinnlich umfassende
Identität von Akteur und Publikum, von Darstellung und Wahrnehmung im Status des
Nichtstun, in der Unbestimmtheit der Anlage, herstellen kann. Was aber vermag sich überhaupt in Situationen mit
ungewissem Ausgang her- oder einzustellen? Ein Raum unbegrenzter Möglichkeiten, ein
momentanes 'zugleich' von Allestun- und Nichtstun können? Es scheint geradezu
eine Aufforderung in solchen Situationen des Nichtstuns zu liegen, dass jeder Zuschauer
und Spieler sich seine eigene Situation schafft. Was tun wir, wenn wir eigentlich nichts tun sollen/müssen,
tun wir bestimmte Dinge dann nicht oder tun wir das, was wir 'ohnehin' tun
würden, auch ohne die Voraussetzung dieser Anlage? Worin liegt im Spiel der Unterschied
zwischen Nichts-tun und Nicht-tun, zwischen passiver und aktiver Aktionslosigkeit? "Ein Stück Saite, ein Sonnenuntergang, keines
besitzend, wirken beide und die Kontinuität tritt ein. Nichts mehr als nichts kann gesagt
werden. Dies zu hören oder in Musik zu setzen ist nicht anders – nur einfacher
– als so zu leben. Einfacher, das heißt für mich, - weil es der Fall ist dass ich
Musik schreibe." (10) Das Inaktions-Potential der New York School Als weitere Formen einer ästhetischen Demonstration eines
künstlerischen Desinteresses können – aus dem Kreis der New York School –
Robert Rauschenbergs 'White Paintings' oder Nam June Paiks 'Silent
Films' gelten, die mit Hilfe eines Nicht(s)-Tuns als maximaler Zurücknahme einer
Aktivität im eigenen künstlerischen Schaffensprozess sowohl die gewohnten
Wahrnehmungsweisen der Betrachter irritieren als auch mit der Unmöglichkeit der
Darstellung von 'Nichts' als Möglichkeit der Darstellung spielen. Rauschenbergs
'White Paintings' zeigen weiße (unbemalte) Leinwände als helle Flächen, die
Staubpartikel der Luft ansammeln und Lichtveränderungen der Umwelt auffangen, deren
Kontrast- und Schattenbildung der Betrachter in ihren Veränderungen in einem zeitlichen
Ablauf wahrnehmen kann. Die weißen Leinwände sind keine Bilder, auf die ein Blick des
Betrachters sich werfen und verstehen lässt. Rauschenberg entzieht seine Bilder, indem er
nichts malt, aus dem Status des bestimmten Formen-Projektivs. Die Leinwände stellen in
ihrer Nackheit nichts dar, sie zeigen nichts / ihr 'Nichts'. Jeder Betrachter
sieht, was er sieht und was er nicht sieht. Nam June Paiks 'Silent Films' bestehen aus
unbelichteten Filmnegativen. Bei deren Vorführung in einem dunklen Raum wird der Staub,
der sich auf den Filmbildern angesammelt hat, auf eine hell beleuchtete Fläche
projiziert. Auch in diesem künstlerischen Unakt werden von Paik nicht einfach nur Bilder
entzogen, sondern eine 'filmische Stille' in der Projektion aus Licht als
unmögliche gezeigt. Trotz ihrer unterschiedlichen medialen Erscheinungsform ist
konzeptuell die Verweigerung einer bestimmten Setzung von Bedeutung im Ausbleiben einer
erwarteten Aktion im Rahmen von Cages Silent Piece, von Paiks Silent Film
und Rauschenbergs White Paintings vergleichbar. Der künstlerische Akt in der
Darstellung scheint hier jedesmal reduziert auf den Versuch, die Situation der Darstellung
in ihrer Unmöglichkeit der Wahrnehmung von Nichts durch eine maximale Reduktion der
jeweiligen Ausdrucksform auszustellen, um so den Betrachter radikal seinen Möglichkeiten
einer situationsspezifischen Wahrnehmung, dem jeweils eigenen Tun und Nicht-Tun seiner
Blicke auszusetzen. Läßt sich an und in diesen unterschiedlich gestalteten
Theater-Situationen des unbestimmten Nichtstuns weiterdenken? Lassen sich Fortsetzungen
des Nichtstuns im Theater vorstellen? Wenn sich die Situation 'Theater' generell als
'ortloser Ort' – als Heterotopie und Heterochronie – im Sinne Michel
Foucaults denken lässt, dann stellt sie darin einen potenziert möglichen Raum des
Nichtstuns im Realen dar, der sich der depotenzierten 'Leere' im Alltäglichen
entziehen könnte, die sich immer als ein Fehlen von etwas Konkretem, als Scheitern oder
als Absenz bestimmter Möglichkeiten äußert. Theater vermag Phantasien und Ängste ungestillter
Sehnsüchte nach freiem Tun wachzurufen, nach einem da- und nicht so-sein in einer
gemeinsam geteilten Situation. Eine Stille des bestimmten Tuns stellt sich in der Ahnung
vom unbestimmten Verlauf der Situation ein. Eine Wahrnehmung der Präsenz der Situation
wird möglich und die Verabredung / die Rahmung, die durch nichts zusammengehalten wird,
wird laut. Die Stille der Unmöglichkeit des Nichtstun-Könnens wird laut. Die Stimme der
Möglichkeit meldet sich in den Möglichkeiten des Nichtstuns zu Wort. John Cages stille Musik ist eine Möglichkeit für eine und
in einer unbestimmten Theatersituation, Möglichkeit zu bleiben. Für eine Weile scheint
eine solche Möglichkeit im Theater den Zwang der Konkretion, der Setzung bestimmter
Bedeutung, den Zwang der Realisierung oder Performierung stillzustellen.
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