Zeitschrift für Literatur und Philosophie
Nicht(s)tun
Situationen aus Nichts-tun im Theater
Kattrin Deufert
JOHN CAGES 'STILLE MUSIK' UND DIE INAKTIONEN DER NEW YORK SCHOOL
"What we re-quire is silence but what silence requires is that I go on talking." John Cage: Lecture on Nothing
Abgrund des Schöpferischen
Die vielfältigen Formen von 'Nicht(s)-tun' im Theater, das Schweigen, das Ausharren, das Warten oder die Langeweile, die in Performance-Texten des 20. Jahrhunderts zunehmend zur Sprache kommen, scheinen mir als Merkmal von Theaterpraxis für eine gegenwärtige Reflexion von Theatererfahrung von Bedeutung.(1) An den unterschiedlichen Erscheinungsformen von Aktionslosigkeit in der darstellenden Kunst im 20. Jahrhundert lässt sich vielleicht eine Verschiebung im kulturellen Verständnis von Ereignishaftigkeit beobachten. Der sichtbare Entzug, das Ausbleiben von Aktivität oder die bewusste Enttäuschung einer bestimmten Erwartung im Theater vermag ein durch nichts oder nur durch 'nichts' hinterfragbares Einverständnis in Frage zu stellen, dass immer im sogenannten künstlerischen Ereignis etwas passieren muß.
In der traditionellen und bis heute üblichen Anlage eines Theaterraumes (der Guckkastenbühne) ist die zumindest körperlich passive Haltung – eine Art Sitzen wie in einem Wartesaal – eine Voraus-Setzung für mögliche Aktionen auf der Bühne. Das Publikum sitzt still da und tut nichts weiter als auf die Bühne zu blicken und darauf zu warten, dass etwas passiert. Trotz dieser strikten räumlichen Trennung von Produktion und Rezeption eines Theatergeschehens können Formen der Kommunikation oder Interaktion zwischen Spielern und Zuschauern entstehen, die durch den Rahmen, den gemeinsam geteilten Ort des Geschehens, im jeweils situationsspezifisch veränderlichen Verhältnis von Darstellung, Langeweile und Schaulust möglich werden. Kommt es zum Beispiel zu Bewegungen beim Publikum, die über das aktive Blicken und anschließende Klatschen hinausgehen, können Irritationen im Ablauf des Bühnen-Geschehens auftreten. Laut artikulierte sprachliche Äußerungen einzelner Zuschauer, das Aufstehen vom Stuhl oder Verlassen des Theatersaals, können Unterbrechungen oder sogar Spielabbrüche verursachen. Eine von Aufführung zu Aufführung veränderliche Form der Kopräsenz von Akteur und Publikum – von Aktion und Inaktion – bestimmt einmalig den Ereignisverlauf, den Rhythmus des Theatergeschehens in einer spezifischen Theaterzeit.
Als Reaktion auf die Krise geschlossener Repräsentationsformen, des 'Tuns als ob' in der darstellenden Kunst, werden seit der Avantgarde mit den Mitteln der Darstellung und im Verlauf von Aufführungsprozessen raumzeitliche und körperliche 'Realitäten' des Spiels thematisiert.
Durch die (Wieder)Entdeckung der Aktivität des Zuschauens oder einer möglichen Kommunikation künstlerischer Aktion durch den betrachtenden Blick scheint auch die mehr oder weniger nur passive Teilhabe des Publikums in Frage gestellt. Die erwartungsvolle Haltung des still dasitzenden Zuschauers erfährt unterschiedliche Formen der Konfrontation im Rahmen der Aufführungssituationen selbst. An dieser Umverteilung bzw. Auflösung der strikten Trennung von aktiver Produktion von Präsenz seitens der Akteure und re-aktiver Rezeption eines ablaufenden Geschehens seitens des Publikums scheint das Nicht(s)-Tun als ästhetisches Mittel zur gesteigerten Wahrnehmbarkeit ins Spiel zu kommen. Im Zuge dieser Entwicklung lässt sich fragen, ob das Nichts-Tun als ästhetische Form gerade in dem rätselhaften Spannungsverhältnis einer wahrnehmenden Wahrnehmung (2) und dem zunehmenden Entzug von Fiktionalität im Spiel ansetzt.
Das allmähliche Aufscheinen einer möglichen Interaktion als wechselseitiger Bewegung von 'künstlerischer Handlung' und 'ästhetischer Wahrnehmung' bringt in der postmodernen Kunst vielfältige Formen von Nichts-Tun hervor, die mehr oder weniger subversiv zu solchen der alltäglichen Leere und Langeweile stehen, sowie zu den Strategien einer paradigmatischen Setzung des andauernden Tuns, der zielgerichteten Produktivität, in deren Rahmen 'der' postmoderne Mensch seinen jeweils individuellen Aktionsradius zu verlängern versucht.
Im Theater lassen sich die ästhetischen Darstellungsmittel des Nicht(s)-Tuns am ehesten in Begriffen wie der 'Stille', der 'Leere', der 'Monotonie', der 'Langeweile', der 'Langsamkeit', der 'Wiederholung' oder der 'Unendlichkeit' fassen, die sich in diesem Kontext gerade durch die Paradoxie in der und der Benennung von Unmöglichkeiten denken lassen. Darin wird als Frage laut, ob das Nichts-Tun als Darstellungsprozeß immer auch die Unmöglichkeit des Nichtstun-Könnens anzudeuten versucht, ob im Ausdruck des Nichts-Tuns die eigene Wahrnehmung (auch die des Künstlers selbst) als wahrnehmende, als Interaktion von 'Innen' und 'Außen' (3), thematisiert wird. Was sieht das Auge oder hört das Ohr in Räumen, in denen kein Wissen im Voraus darüber besteht, ob es überhaupt 'etwas' zu sehen oder zu hören gibt.
"Nichts ist schwerer zu wissen, als was wir eigentlich sehen."
Dieser Satz aus Merleau-Pontys 'Phänomenologie der Wahrnehmung' lässt sich auf ein Sehen von Theater-Aktion hin lesen als die vorläufige Beschreibung einer sinnlichen Verwirrung, eines Unverstehens im Spüren des eigenen Blickes, einer Irritation im Wissen um das 'Wie-die-anderen-mich-sehend-Sehen'.
John Cages 'Silent Pieces'
Der amerikanische Performancekünstler John Cage hat in seiner Konzeption einer stillen Musik Theatersituationen geschaffen, in deren Rahmen Merkmale des Nichtstuns im Verhältnis von Aktivität und Inaktivität zwischen Zuschauer und Spieler ins Spiel geraten. In Silent Piece (1952) werden gewohnte Erwartungen der sitzend ausharrenden und still lauschenden Konzertbesuchers durch eine Form des Nichtstuns der Akteure gestört. Die erwartete akustische Aktion, die im Rahmen der Uraufführung als Klaviersolo unter dem Titel 4'33" angekündigt war, bleibt aus. Für den Zeitraum von 4' und 33" wird eine Stille hörbar, die Cage in einer Posteriori-Score nach der Uraufführung notiert als: "4'33". For any instrument & combination of instruments. I: tacet – II: tacet – III: tacet. The title of this work is the total length in minutes and seconds of this performance. At Woodstock, N.Y., August 29. 1952, the title was 4'33" and the three parts were 33", 2'40" and 1'20". It was performed by David Tudor, Pianist, who indicated the beginning of parts by closing, the ending by opening the keybord lid. After the Woodstock performance, a copy in proportional notation was made for Irwin Kremen. In it the timelengths of the movements were 30", 2'23" and 1'40". However the work may be performed by any instrumentalist(s) and the movements may last any length of time." (4)
Ein gleichzeitiges Nichtstun von Akteur und Publikum als gemeinsam geteilter Situation entsteht in der Uraufführung von Cages Silent Piece unter dem Titel 4'33".
Nach Cages eigener Beobachtung zeigten die Leute sich während der Uraufführung eher irritiert, als sich von dem Experiment zu einer Teilnahme anregen zu lassen: "Die meisten Leute haben das Wesentliche nicht begriffen. Es gibt keine Stille. Das, was man (bei meinem Stück 4'33") als Stille empfand, war voller zufälliger Geräusche - was die Zuhörer nicht begriffen, weil sie kein Gehör dafür hatten. Während des ersten Satzes (bei der Premiere) konnte man draußen den Wind heulen hören. Im zweiten Satz prasselte der Regen aufs Dach, und während des dritten machte das Publikum allerhand interessante Geräusche, indem sie sich unterhielten oder hinausgingen." (5)
Das Gegensatzpaar Ruhe und Aktivität (Tun und Nichtstun) sollte für Cage ähnlich aufgefaßt werden können wie das von Klang und Stille. Ruhe kann Aktivität bedeuten und als solche erfahren werden und umgekehrt. Dieser Gedanke wird in Silent Piece konkret. Der Zuhörer, der sich in einem Konzertsaal eher in einer gewohntermaßen ruhenden Situation glaubt, wird durch die unerwartete Nicht-Aktivität der Instrumentalisten auf die Aktivität des Ortes, an der er selbst mehr oder weniger teilhat, verwiesen. Die Erfahrung der Geräusche und Bewegungen im Raum kann er ruhig genießen, indem er seine Sinne öffnet und sich auf die eigene Wahrnehmung konzentriert. Jeder Zuschauer kann aktiv auf die Situation reagieren, indem er bewußt Geräusche produziert oder hinausgeht. Die disziplinierten Instrumentalisten haben somit in ihrer bewußten Nicht-Aktivität eine Art Vorbildfunktion im Umgang mit der Abwesenheit der erwarteten Präsentation von Klängen. Cage will dem Publikum keine einzig richtige Haltung vorschreiben, da das Stück sich gleichermaßen durch ein ruhiges wie aktives Publikum konstituiert, was es und ihn als Komponisten von einer Abhängigkeit von den Haltungen der Hörer befreit. Allerdings zeigt er sich gegenüber unruhigen und verärgerten Kritikern wenig verständnisvoll: "Es gibt keinen Ort ohne Aktivität; das manifestiert sich überall. (...) Demzufolge besteht der Unterschied zwischen Aktivität und Passivität ausschließlich im Bewußtsein. Und das Bewußtsein entledigt sich aller Leidenschaften (...): frei von Leidenschaften und Ekel. (...) Wenn sich also das Bewußtsein auf diese Weise befreit hat, könnte man ebenfalls von Passivität sprechen, obwohl noch eine Art Aktivität fortbesteht."(6)
Zehn Jahre nach der Uraufführung von Silent Piece sitzt John Cage während einer Japan-Tournee in einem Konzertraum in Tokyo an einer akustisch verstärkten Schreibmaschine und schreibt ein Stück mit dem Titel 0'00" auf. Die hörbare Notation im Rahmen eines Konzertes war für Cage bereits eine erste Aufführung, die wir in der Posteriori Score nachlesen können als: 0'00" (4'33" for the second time). For Yoko Ono. In a situation provided with maximum amplification (no Feedback), perform a disciplined action. - With any interruptions. Fullfilling in whole or part an obligation to others. - No two performances to be of the same action, nor may that action be the performance of a 'musical' composition. - No attention to be given the situation (electronic, musical, theatrical). The first performance was the writing of the manuscript (first margination only).(7)
Die Dauer der Aktion 0'00" ist beliebig, ihr Ablauf unbestimmt. Was läßt sich über die raumzeitliche Kontinuität einer Performance von 0'00" aussagen, die maximal verstärkt - jedoch ohne Rückkoppelung (des hör- oder sichtbaren Aktionsflusses mit sich selbst) - und beliebig unterbrochen sein kann? Eine Bewegung soll gefunden werden, die als ganze oder teilweise auf ein Publikum hin gerichtet ist, der Situation als musikalischer, theatralischer oder elektronischer Anlage jedoch keine gesonderte Aufmerksamkeit widmet. Die Aktion vollzieht sich nicht zufällig, sie wird nicht improvisiert, sondern als unbestimmt bestimmte ausgeführt. Sie braucht keine im voraus festgelegte zeitliche Struktur zu besitzen, sie soll 'diszipliniert' ausgeführt werden, obwohl sie unterbrochen werden kann, aber keine Wiederholungen zeigen. Der Titel verweist – in Anspielung auf 'Silent Piece' – auch auf eine Möglichkeit des Stücks als 'Nullaktion', als Lücke im Ablauf, in der sich im Moment der Aufführung nichts außer der Situation selbst ereignet. Perform a disciplined action meint eine in sich geschlossene unabhängige Aktion, die strukturell weder in einem musikalischen noch theatralischen oder technischen Sinn komponiert sein soll. In der Uraufführung in Tokyo wird 0'00" im Bewußtsein um die eigene Nachträglichkeit im Rahmen einer musikalischen Aufführung 'technisch' hervorgebracht. Cage be-schreibt in dem hörbar mechanischen Rhythmus der akustisch verstärkten Schreibmaschine seine Spielanweisung (perform a disciplined action ...), eine Widmung dieser Aktion (for Yoko Ono), den Ort ihrer Uraufführung (Tokyo) und die Aktion ihrer Erstaufführung selbst als das, was gerade passiert (the writing of the manuscript / first margination only/).
Lassen sich in der Folge der Erstaufführung Darstellungsmöglichkeiten für so beschriebene 'disziplinierte Aktionen', die lose in einem öffentlichen Aufführungszusammenhang auftauchen, vorstellen oder spielt Cages Aktionsschreibung von 0'00" nur mit dem Gedanken an ihre eigene Unspielbarkeit? Im Gegensatz zu 4'33" ist eine mögliche Aktion für 0'00" durch keine Parameterbestimmung genauer zu definieren und weder zeitlich noch räumlich zu strukturieren. Eine Bewegung, die 0'00" darstellen kann, erscheint im oder als 'Off' der Performancezeit, indem sie sich aus dem raum-zeitlichen Kontinuum in dessen strukturliefernder Funktion ausklinkt. "Perform a disciplined action / With any interruptions /Fulfilling in whole or part an obligation to others"(8) beschreibt die Form der Darstellung als vom Spieler selbst bestimmter, dessen Konzentration sich einzig auf die Bewegung in der Aktion selbst richten soll. Die einzige nähere Bestimmung der Aktion durch das Adjektiv 'disciplined' kann als unbestimmte Angabe über ihren jeweils eigenen von den übrigen Aktionen unabhängigen Rhythmus gelesen werden. Das dem Außen, den anderen Verpflichtet-Sein schafft nicht das raum-zeitliche Kontinuum der Aktion, die jede beliebige Länge haben und unterbrochen sein kann, sondern nur eine Richtung ihrer Entäußerung im Sinne eines Bewußtseins ihrer augenblicklichen Öffentlichkeit.
Inaktion als Konzept von Darstellung
John Cage schlägt in seinen Theaterformen – exemplarisch mit 'Silent Piece' – seinen 'Interpreten' ein Nichtstun als eine Spielform vor, die als unbestimmte Experimentalanordnung Aktionen mit offenem Ausgang ermöglichen. 'Alles' scheint im Rahmen des Verlaufs solcher Situationen möglich, gerade wenn oder dadurch dass nichts bestimmtes passiert. Die Spieler oder Zuschauer können darauf warten, dass 'etwas' passiert, bzw. darauf reagieren, dass 'nichts' passiert. Es gibt keine Zuschauer, die nicht beteiligt sind. Jede(r) trägt für sich den Verlauf der Situation mit, kann über das, was passiert und nicht passiert, entscheiden. Eine Stille stellt sich in der Unbestimmtheit des Nichtstuns ein, Stille taucht als die "Demonstration eines Desinteresses" auf, in deren Rahmen ein bestimmtes Aussagen entzogen bleibt. "Kontinuität heute, wo sie notwendig ist, ist eine Demonstration des Desinteresses. Das heißt, sie ist ein Beweis, dass unser Vergnügen darin liegt, nichts zu besitzen. Jeder Augenblick zeigt, was geschieht. Wie verschieden doch dies Formgefühl von jenem ist, das an Erinnerung gebunden ist."(9)
Theatersituationen, in denen über längere Zeit nichts/Nichts demonstriert wird, zeigen die Grenzen von 'Realität' und Spiel als Unmögliche, bewegen sich an der undefinierbaren Grenze zur Realität im Spiel des Spiels. Die Demonstration des Desinteresses versagt die Bedeutung möglicher Aktionen, indem ein Rahmen für eine raumzeitliche Stille, für einen unbenannten Rhythmus im und ins Nichtstun gesetzt wird.
Läßt sich über Aktionen sprechen, die noch nicht (nicht-) bzw. noch bevor sie stattgefunden haben oder über das Ausbleiben von Aktion?
In Cages Situationen aus 'Nichtstun' lässt sich von theatralen Versuchsanordnungen sprechen (theatral im Sinn der gesteigerten raumzeitlichen und körperlichen Wahrnehmbarkeit in einer gemeinsam geteilten Situation), in denen sich im Zuge einer wahrnehmenden Wahrnehmung für das Nichts dessen, was den Rahmen dieser Situation ausmachen könnte, eine raumzeitlich und sinnlich umfassende Identität von Akteur und Publikum, von Darstellung und Wahrnehmung im Status des Nichtstun, in der Unbestimmtheit der Anlage, herstellen kann.
Was aber vermag sich überhaupt in Situationen mit ungewissem Ausgang her- oder einzustellen? Ein Raum unbegrenzter Möglichkeiten, ein momentanes 'zugleich' von Allestun- und Nichtstun können? Es scheint geradezu eine Aufforderung in solchen Situationen des Nichtstuns zu liegen, dass jeder Zuschauer und Spieler sich seine eigene Situation schafft.
Was tun wir, wenn wir eigentlich nichts tun sollen/müssen, tun wir bestimmte Dinge dann nicht oder tun wir das, was wir 'ohnehin' tun würden, auch ohne die Voraussetzung dieser Anlage? Worin liegt im Spiel der Unterschied zwischen Nichts-tun und Nicht-tun, zwischen passiver und aktiver Aktionslosigkeit?
"Ein Stück Saite, ein Sonnenuntergang, keines besitzend, wirken beide und die Kontinuität tritt ein. Nichts mehr als nichts kann gesagt werden. Dies zu hören oder in Musik zu setzen ist nicht anders – nur einfacher – als so zu leben. Einfacher, das heißt für mich, - weil es der Fall ist dass ich Musik schreibe." (10)
Das Inaktions-Potential der New York School
Als weitere Formen einer ästhetischen Demonstration eines künstlerischen Desinteresses können – aus dem Kreis der New York School – Robert Rauschenbergs 'White Paintings' oder Nam June Paiks 'Silent Films' gelten, die mit Hilfe eines Nicht(s)-Tuns als maximaler Zurücknahme einer Aktivität im eigenen künstlerischen Schaffensprozess sowohl die gewohnten Wahrnehmungsweisen der Betrachter irritieren als auch mit der Unmöglichkeit der Darstellung von 'Nichts' als Möglichkeit der Darstellung spielen. Rauschenbergs 'White Paintings' zeigen weiße (unbemalte) Leinwände als helle Flächen, die Staubpartikel der Luft ansammeln und Lichtveränderungen der Umwelt auffangen, deren Kontrast- und Schattenbildung der Betrachter in ihren Veränderungen in einem zeitlichen Ablauf wahrnehmen kann. Die weißen Leinwände sind keine Bilder, auf die ein Blick des Betrachters sich werfen und verstehen lässt. Rauschenberg entzieht seine Bilder, indem er nichts malt, aus dem Status des bestimmten Formen-Projektivs. Die Leinwände stellen in ihrer Nackheit nichts dar, sie zeigen nichts / ihr 'Nichts'. Jeder Betrachter sieht, was er sieht und was er nicht sieht.
Nam June Paiks 'Silent Films' bestehen aus unbelichteten Filmnegativen. Bei deren Vorführung in einem dunklen Raum wird der Staub, der sich auf den Filmbildern angesammelt hat, auf eine hell beleuchtete Fläche projiziert. Auch in diesem künstlerischen Unakt werden von Paik nicht einfach nur Bilder entzogen, sondern eine 'filmische Stille' in der Projektion aus Licht als unmögliche gezeigt.
Trotz ihrer unterschiedlichen medialen Erscheinungsform ist konzeptuell die Verweigerung einer bestimmten Setzung von Bedeutung im Ausbleiben einer erwarteten Aktion im Rahmen von Cages Silent Piece, von Paiks Silent Film und Rauschenbergs White Paintings vergleichbar. Der künstlerische Akt in der Darstellung scheint hier jedesmal reduziert auf den Versuch, die Situation der Darstellung in ihrer Unmöglichkeit der Wahrnehmung von Nichts durch eine maximale Reduktion der jeweiligen Ausdrucksform auszustellen, um so den Betrachter radikal seinen Möglichkeiten einer situationsspezifischen Wahrnehmung, dem jeweils eigenen Tun und Nicht-Tun seiner Blicke auszusetzen.
Läßt sich an und in diesen unterschiedlich gestalteten Theater-Situationen des unbestimmten Nichtstuns weiterdenken? Lassen sich Fortsetzungen des Nichtstuns im Theater vorstellen?
Wenn sich die Situation 'Theater' generell als 'ortloser Ort' – als Heterotopie und Heterochronie – im Sinne Michel Foucaults denken lässt, dann stellt sie darin einen potenziert möglichen Raum des Nichtstuns im Realen dar, der sich der depotenzierten 'Leere' im Alltäglichen entziehen könnte, die sich immer als ein Fehlen von etwas Konkretem, als Scheitern oder als Absenz bestimmter Möglichkeiten äußert.
Theater vermag Phantasien und Ängste ungestillter Sehnsüchte nach freiem Tun wachzurufen, nach einem da- und nicht so-sein in einer gemeinsam geteilten Situation. Eine Stille des bestimmten Tuns stellt sich in der Ahnung vom unbestimmten Verlauf der Situation ein. Eine Wahrnehmung der Präsenz der Situation wird möglich und die Verabredung / die Rahmung, die durch nichts zusammengehalten wird, wird laut. Die Stille der Unmöglichkeit des Nichtstun-Könnens wird laut. Die Stimme der Möglichkeit meldet sich in den Möglichkeiten des Nichtstuns zu Wort.
John Cages stille Musik ist eine Möglichkeit für eine und in einer unbestimmten Theatersituation, Möglichkeit zu bleiben. Für eine Weile scheint eine solche Möglichkeit im Theater den Zwang der Konkretion, der Setzung bestimmter Bedeutung, den Zwang der Realisierung oder Performierung stillzustellen.

Fußnoten

(1) U.a. sei hier auf die Theatertextarbeit von Gertrude Stein und Samuel Beckett verwiesen, die auf unterschiedliche Art und Weise ein für das Theaterspiel konstitutives Nichtstun zur Sprache bringen. Stein erreicht dies etwa in ihren 'Landscapeplays' durch eine bewusst gesetzte Architektur der Wiederholung einzelner Sprachstücke, die auf dem Papier scheinbar ein Auf-der-Stelle-Treten symbolisieren, in ihrer Lautwerdung jedoch eine ganz eigene Bedeutungsvirtuosität veränderlicher sprachlicher Klangspiele ermöglichen. In zahlreichen Stücken Becketts wird explizit die Figur des Wartens bzw. Nichttuns als eigenständiger theatraler Spielvorgang formuliert.
(2) Von wahrnehmender Wahrnehmung spreche ich hier im Anschluß an Bernhard Waldenfels' Konzeption des sehenden Sehens im Unterschied zu einem wiedererkennenden Sehen sowie seinen Theorien zu möglichen Relationen zwischen dem Sichtbarwerden in der Wahrnehmung und dem Sichtbarmachen in der bildenden Kunst, die er mit Max Imdahl formuliert als: "Das wiedererkennendeSehen von Gegenständen, die uns bereits vor der Bilderfahrung vertraut sind, berücksichtigt den inhaltlichen Bildsinn, die Semantik des Bildes: das, was gemeint und gezeigt wird. Dieses Sehen gilt als heteronom, weil die Gesetze des Sehens nicht dem Bild selbst entstammen. (...) Das sehende Sehen, das zunächst einer ästhetischen Ernüchterung entspringt, die in der Folge in ästhetische Bewunderung umschlagen mag, berücksichtigt den formalen Bildsinn, die Syntaktik des Bildes: die Art und Weise, wie etwas dargestellt ist. Diese Sehen kann man als autonom betrachten, weil hier die Gesetze des Sehens dem Bild selbst entstammen." Bernhard Waldenfels: Ordnungen des Sichtbaren. In ders.: Sinnesschwellen. Frankfurt/Main 1999. S.103.
(3) An dieser Stelle lässt sich beispielhaft John Cages Wahrnehmungs-Selbst-Versuch erzählen, für den er sich mehrere Stunden in eine schalltote Kammer begibt, um die Unmöglichkeit der Stille zu hören: nach einer Weile nimmt er deutlich den Rhythmus zweier unterschiedlicher Klangstrukturen wahr, die seines Blutkreislaufs und die seines Nervensystems.
(4) John Cage: Note to 4'33"(for any instrument & combination of instruments). N.Y. 1960.
(5) John Cage in: Richard Kostelanetz: Cage im Gespräch. Köln 1989. S.63.
(6) Richard Kostelanetz: Cage im Gespräch. Köln 1989. S.64.
(7) John Cage: 0'00", Tokyo 1962.
(8) John Cage: 0'00", Tokyo 1962.
(9) John Cage: Silence. Vortrag über Nichts.Frankfurt am Main 1987. S.9.
(10) John Cage: Silence. Vortrag über Nichts. Frankfurt am Main 1987. S. 10.