Zeitschrift für Literatur und Philosophie
Kunst & Verbrechen
Entführung der Assistentin
Elena Kovylina
http://195.143.193.143/sites/ama/referenz1_fotos.html
Was bedeutet das – "Kunst und Verbrechen"? Enthält diese Wortfügung als Sinnprämisse die Kompatibilität der eigentlichen Begriffe? Die Fragestellung ist provokativ und fordert vom Künstler das Aufzeigen der Gleichsetzung und des Unterschieds: Auf welche Weise beziehen sich die Territorien der Kunst und des Verbrechens aufeinander, können sie zusammenfallen – auf dem Gebiet des Sinns, auf dem Gebiet der Figuration? Was ist eigentlich gemeint?
Was kann denn der Künstler tun – die Idee des Verbrechens illustrieren, ein gewisses "künstlerisches Verbrechen" begehen oder die Adäquatheit dieser Frage selbst anzweifeln? Die Kunst soll ja nicht illustrieren oder beschönigen, sondern erschaffen, folglich: Man muß ein Verbrechen begehen.
Ein Verbrechen kann man nicht zeigen. Genauer, es läßt sich selber nicht zeigen.
Vor allem: ein Verbrechen drückt nichts aus.
Ein Verbrechen ist nicht Etwas, das von etwas Anderem spricht. Das Wesen des Verbrechens (und die Organisatoren stellen fraglos die Forderung nach der Erkennbarmachung des Wesens dieser Frage durch Demonstration unterschiedlicher Gesichtspunkte, wovon die Anzahl der eingeladenen Künstler zeugt) besteht in der Konzentration und dem Ausbruch eines gewissen Willens (ganz gleich, ob eines destruktiven oder vitalen), das den gewohnten Stand der Dinge grundlegend verändert.
In der letzten Zeit haben wir es mit einer Banalisierung der kriminellen Welt zu tun, gewiß. Der Verbrecher macht sich immer seltener Gedanken über Form, Logik und Dramaturgie der Handlung, lediglich rare Genies demonstrieren die Stärke des Willens zum maniakalen Experiment.
Wir beschließen, ein Verbrechen zu begehen. Wir beschließen, einen Menschen zu entführen. Es handelt sich um eine Assistentin, die am Hebbel Theater arbeitet. Es ist ihre Arbeit, bei der Realisierung der Projekte behilflich zu sein. In diesem Falle – auch beim Begehen eines Verbrechens??
Nein, nur beim Hängen der Fotos, Erteilen von Hinweisen oder vielleicht beim Abschicken von e-mails.
Der Künstler muß darauf verzichten, etwas anderes zu illustrieren, zu zeigen oder zu bewerten außer dem, womit er sich selber befaßt. Darf er sich mit einem Verbrechen befassen, es begehen, d.h., es als Ereignis erzeugen ? Symbolische Morde; rituelle Verbrennungen mit einer Prise Ironie; die Fotos der Verbrecher an der Wand – all das hat mit dem Verbrechen nichts zu tun: Aussagen über dies und jenes, "zum Thema" und "zur Frage".
Wir werden sie entführen. Dieser Gedanke kommt einem unverhofft in den Sinn: besseres gibt es nicht!
Wir entführen die Assistentin – denn es wäre doch widerlich, müßte ein Projekt über das Verbrechen legal aussehen.
Zuförderst muß man das mit den Kuratoren besprechen, nicht wahr? Was, wenn es ihnen nicht gefällt? Was, wenn sie es mit der Angst kriegen?
Von welchem Verbrechen kann dann, Teufel noch eins, die Rede sein, wenn alles well organized zu sein hat ?!!
Diese Handlung ist absolut unrepräsentativ. Sie wird von nichts berichten, außer von sich selbst. Liegt nicht eben darin das Ziel und der Sinn des Wortes "ein Verbrechen begehen"? Wir tun etwas Überflüssiges, etwas Unnötiges, etwas, worauf man verzichten könnte, etwas, ohne dem die meisten Menschen mühelos auskommen, etwas, was die Frage "wozu?" aufwirft. Jenseits des Illustrativen, jenseits der Ironie, jenseits des lustigen Einfalls eines Künstlers. So, daß es nicht möglich wäre, zu sagen: "Oh, das ist aber lustig!". So, das es nicht möglich wäre, zu sagen: "Oh, das ist aber nicht schlecht!".
Wir setzen das Mädchen ins Auto. Sie steigt natürlich freiwillig ein, ohne physische Nötigung.
Sie wird gebeten, ein Stück zu fahren, denn sie bekomme als Assistentin etwas zu sehen, worüber dann gemeinsam beraten werde.
Doch unterwegs springen zwei Personen mit schwarzen Brillen und Perücken ins Auto. Das ist eine Entführung, klar ?!!
Wir fahren die Assistentin fort.
Wohin fahren wir, ist das nicht zu umständlich, findet das jemand zum Lachen?
Zugegeben, wir waren inkosequent. Zugegeben, wir haben sie nicht erstochen, keine Forderungen gestellt, sie nicht zur Ausstellungseröffnung ins Theater zur allgemeinen Belustigung gebracht. Reicht es denn nicht, daß wir das Mädchen, ohne besonderen Plan, in einen Wald bei Potsdam fahren. Wir brechen in einem bestimmten Moment nicht in Lachen aus und fragen sie: "Na, wie ist das werte Befinden??" – wir schmeißen sie einfach im Wald raus. Steigen ins Auto und fahren weg. Mehr war ja nicht verlangt, oder?