Zeitschrift für Literatur und Philosophie
Gestik
Vision und Text - Bildliche Inszenierung der Gestik um 1600
Andreas Henning
Es war um 1590 in Bologna, daß ein ansonsten für seine Schweigsamkeit bekannter Maler in eine komplexe kunsttheoretische Debatte einwarf: "Noi altri dipintori habbiamo da parlare con le mani"(1) - wir Künstler müssen mit den Händen reden.
Die Aussage klingt banal, denn daß die bildende Kunst eine eigene Sprache besitzt, und zwar eine sinnefällige, scheint evident. Für unser Tagungsthema an Problematik gewinnt die Phrase, wenn wir ihren Kontext näher betrachten. Nichts geringeres nämlich als die Sprachfähigkeit bildkünstlerischer Gestik steht zur Debatte: die Frage nach möglichen unterschiedlichen Sprachmodi, deren sich die Gestik bediene je ob sie literarisch-begrifflich oder mit den Mitteln der bildenden Kunst geäußert werde.
"Wir Künstler müssen mit den Händen reden", diese Sentenz von Annibale Carracci ist Antwort in einem Diskurs, in dem versucht wurde die ausdrucksstarke Gestik der antiken Statue des Laokoon begrifflich zu erfassen. Statt vieler weiterer Worte zeichnete der Künstlers den Laokoon. Wohl eine indirekte Betrachteranekdote macht das Beispiel deutlich, daß das Kunstwerk eigenständiger Diskussionspartner ist.
Gleichwohl meint das keine absolute Ausschließlichkeit der beiden Medien Text und Bild. Daß es zwischen ihnen Korrelationspunkte geben muß, ist unzweifelhaft: Heiligenlegenden, Märtyrerberichte, kunsttheoretische Traktate, sie alle liegen vor und sind von den Künstlern benutzt worden als Vorgabe zur Gestaltung der istoria. Wie unterscheidet sich von ihnen aber die invenzione, die je konkrete Bildfindung?
Auf kunsthistorischer Seite scheint mir für die italienische Kunst des 15. bis zur ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine exemplarische Zugriffsmöglichkeit auf die Korrelation von Text und Bild durch die Physiognomik gegeben zu sein. Die Physiognomik ist seit dem vierten vorchristlichen Jahrhundert ein Erkenntnisweg, der Erscheinungen deutet. Gedeutet werden dabei nicht nur mimische Merkmale - die Einschränkung der Physiognomik auf die Gesichtszüge ist erst Ergebnis des 18. Jh. - nicht also nur die Mimik, sondern auch Gestik und Habitus gehören zum Erkenntnisbereich der Physiognomik. Die Anfänge der Physiognomik im Dialog des Zophyros des Paidon von Elis hat Johannes Thomann 1992 herausgearbeitet.(2) Im Rahmen der frühen Neuzeit befragt nun die bildende Kunst die physiognomischen Hinweise in kunsttheoretisch ausgerichteten Traktaten, um die Figuren ihrer Bilder entsprechend auszustatten. Referenzpunkt ist dabei der Betrachter, weshalb das Analysefeld ein wirkungsästhetisches ist. Auf ihn, den Betrachter hin wird die Physiognomik in die Darstellungsweise der Bildfiguren eingeschrieben, auf die Lesbarkeit durch den Rezipienten. Lesbarkeit allerdings nicht ausschließlich in begrifflich geführter Erkenntnis, sondern in emotionalem Nachvollzug. Affekterregung im Betrachter ist die vorrangige Aufgabe der Kunst um 1600.
Die Kontrolle dieser Wirkungsästhetik der Kunst ist zentrales Anliegen der katholischen Kirche, weil gerade hier die Reformation einen entscheidenden Kritikpunkt festmachen konnte. Deshalb liegen im Anschluß an das Konzil zu Trient am Ende des 16. Jahrhunderts eine Fülle von Traktaten vor, die die Sprache und Sprachfähigkeit der bildenden Kunst genau zu erfassen und zu dechiffrieren suchen - und damit, zumindest dem selbstgestellten Anspruch nach, für den Maler vorbuchstabieren. Alsa das ausdruckstärkste Organ bildlicher Sprachfähigkeit fungiert dabei die Physiognomik.
Im folgenden soll es mir anhand einer exemplarischen, thesenartig präsentierten Analyse darum gegen, das Verhältnis von gestischer Physiognomik in textuell überlieferten Quellen zu derjenigen in Kunstwerken zu bestimmen. Da es sich nicht um ein bloßes Abbildungsverhältnis handelt, ist besondere Rücksicht auf die bildliche Sprache zu legen. Sie ist ungemein schwerer zu erruieren, weil sie unserem begriffsgeleiteten Erkennen fremd erscheint. Mithin scheint mir die Frage nach der Relation von Text und Bild eine hermeneutische zu sein, und folglich muß methodisch ein Darstellungsverhältnis angelegt werden, durch das das Bild und der Text aneinander zur Erscheinung kommen. Gewählt sei von Annibale Carracci, von ihm ist auch die eingangs erwähnte Sentenz überliefert, gewählt sei also die "Steinigung des Stephanus", um 1603 in Rom entstanden.
Damit haben wir als Analysefeld den Beginn des römischen Barock gewonnen, und zwar temporär beschränkt auf die Zeit zwischen 1603, der Entstehung dieses Gemäldes, und dem Jahr 1610, bis zu dem die Werkstatt des Künstlers und sein unmittelbares Umfeld vier weitere Fassungen dieses Themas gefertigt haben werden. Wir konzenrieren uns dabei bewußt auf Rom, weil diese Stadt im Übergang zum 17. Jahrhundert die Darstellung von Martyrien maßgeblich gefördert und somit das zentrale Beispiel barocker Bildsprache, die affektgeladene Inszenierung der Gestik, entscheidend entwickelt hat.
I. Bildanalysen: Annibale Carracci
Stephanus ist der erste christliche Märtyrer. Sie sehen ihn hier dargestellt auf einer Kupfertafel von Annibale Carracci(3) (1560-1609), eine kleinformatige Arbeit 1603 entstanden (die Maße betragen 42 x 54 cm), heute im Louvre befindlich.
Die Bildfindung(4) Annibales zeichnet sich durch eine große Vielfalt in der Behandlung der Protagonisten sowie einem selbstgestellten Kunstgriff(5) in der Zusammenziehung von Martyrium und Vision aus. Vornehmlich im Rekurs auf die Apostelgeschichte (Apg. 6,8-7,59) schildert Annibale Schau und Steinigung des Protomärtyrers(6). Stephanus ist der erste unter den sieben Diakonen, die die Urgemeinde in Jerusalem, nach Christi Himmelfahrt, zur Arbeitsentlastung der Apostel wählte. Er wird als besonders Redebegabt von der Apostelgeschichte beschrieben; unter Zuhilfenahme falscher Zeugen der Gotteslästerung angeklagt entwickelt er vor dem Synedrium die längste der im Neuen Testament überlieferten Verteidigungsreden.(7) Im unmittelbaren Anschluß an diese Rede - so die Apostelgeschichte in detaillierter Schilderung des Verlaufs - ist Stephanus voll des Heiligen Geistes, schaut auf gen Himmel, sieht die Herrlichkeit Gottes und Christus zur rechten Hand Gottes stehen (Apg. 7,55a), verkündet dies schließlich dem Gericht mit den Worten: "ecce video caelos apertos et Filium hominis a dextris stantem Dei" (Apg. 7,55b). Das Synedrium findet in dieser Visionsschilderung den Tatbestand der Gotteslästerung bestätigt, denn einmütig wird Stephanus vor die Stadt gejagt und dort gesteinigt (Apg. 7,57a-7,59).
Annibale plaziert das Martyrium vor die Tore Jerusalems. Der Heilige wird von Steinigern umringt, angeführt von Saulus. Schaulustige umstehen die Szene. Oben rechts öffnen sich die Himmel, in der Vision erscheinen Christus und Gott.
Der Märtyrer neigt seinen Kopf zu linken Seite, dreht ihn ein wenig nach hinten über die Schulter, sodaß sein Gesicht im Profil dargestellt ist. Da die Kopfhaltung zugleich den himmelwärts gerichteten Blick unterstützt, sind die Gesichtszüge nur in leichter Untersicht zu sehen. Stephanus fixiert mit seinen Augen die Vision in der diagonal gegenüberliegenden Bildecke. Die Intergration der Vision in die Darstellung des Martyriums ist selbstgestellte difficoltà des Künstlers, denn nach Lage der Quellen geht sie zeitlich der Steinigung voraus. Es wird später zu zeigen sein, inwieweit die Gestik des Märtyrers durch die Bezugsetzung zur Vision konnotiert wird. (8)
Indem Annibale den Protomärtyrer in kniender Haltung darstellt, entscheidet er sich für einen bestimmten Moment im Vollzug der Steinigung. Die Apostelgeschichte unterscheidet zwei Stadien des Martyriums. Zunächst wird geschildert, wie Stephanus im Akt der Steinigung ein Bittgebet für sich spricht (Apg. 7,58). Daß er dabei in stehender Haltung gemeint sei, wird von der Fortführung der Steinigung ersichtlich: Die Apostelgeschichte merkt ausdrücklich an, daß Stephanus niederkniet ["positis autem genibus" (Apg. 7,59a)], um mit diesem habitus das Bittgebet für seine Peiniger auszurufen (Apg. 7,59a), bevor er entschläft (Apg. 7,59b).
Der gestische Ablauf im Bild rekurriert also in der detaillierten Überlieferung durch die Apostelgeschichte. Die Legenda Aurea, eine Sammlung von Heiligenlegenden, im ausgehenden 13. Jahrhundert von Jacobus de Voragine verfaßt und bis in die frühe Neuzeit hinein neben der Bibel die wichtigste Quellengrundlage für die Gattung der religiösen Historienmalerei, die Legenda Aurea also kommentiert den von der Apostelgeschichte bezeugten Bewegungsablauf: "Und sehet die erstaunliche Liebe an: Als er für sich betete, stand er, als er aber für seine Steiniger betete, beugte er das Knie, so als begehrte er, daß eher das Gebet für die anderen als das für sich erhört werde."
Annibale betont also, so muß in Anbetracht des Bildes konstatiert werden, den zweiten Teil des Martyriums. Der gestus der gefalteten und vor der Brust zur Vision emporgerichteten Hände unterstreicht somit für den kundigen Betrachter die bis in das für die Peiniger gehaltene Bittgebet hinein vollzogene Imitatio Christi des Märtyrers.
I.2. Umkreis
Mit dem vergleichenden Verfahren, das die Philosophie unter dem Rubrum 'Darstellungsverhältnis'(9) führt, müssen sich die gestischen Spezifika der Bildfindung Annibales in gestus, vultus und habitus erschließen lassen. Insofern sie nämlich nur partiell quellengeschichtlich zu belegen sind, können sie nur jeweils an einem anderen erscheinen, das nicht sie selbst sind. Um die je einzelne Bildfindung sowohl in ihrer wirkungsästhetischen Struktur als auch ihrem theologischen Dekorum ermessen zu können, seien im folgenden als Vergleichsbeispiele vier Stephanusmartyrien und eine zugehörige Skizze herangezogen, die, zwischen 1603 und 1610 in Rom entstanden, in unmittelbaren Umkreis um Annibales Kupferfassung stehen.

Annibale (Werkstatt): Leinwandfassung
Mit der Leinwandfassung der Steinigung des Stephanus(10) formuliert Annibale, wohl in der Ausführung durch seine Werkstatt, eine zweite Bildfindung des Martyriums (heute ebenfalls im Louvre befindlich).
Für dieses Stephanusmartyrium wählt Annibale sowohl für die Gesamtstruktur des Bildes als auch in gestus und habitus der Hauptprotagonisten neue Darstellungsmodi. Das Format wird um ein Viertel vergrößert (auf nunmehr 51 x 67,5 cm), reziprok dazu die Personengröße jedoch entschieden verkleinert.
Stephanus ist nicht im Bittgebet gezeigt, sondern öffnet seine Arme der Vision entgegen. Er kniet auf beiden Beinen, die ehemals differenzierte Ausrichtung der Körpervektoren ist deutlich zurückgenommen. Diese Umgestaltung der Gestik überrascht um so mehr, als die Gesamtanlage des Bildes grundsätzlich abhängig von der Kupferfassung ist. Adaptiert wurde die Anordnung und Ausgestaltung einzelner Steiniger. Auch die Betrachterfiguren sowie die Vision sind der Kupferarbeit entlehnt. Allerdings, auch die Unterschiede sind deutlich. So hat zum Beispiel Saulus seine Gestik verändern müssen. Sie ist entlehnt einer Zeichnung von Annibale, die als die Keimzelle seiner Stephanusikonographie gelten muß.

Annibale: Windsor-Skizze
Dieses Blatt in Windsor besitzt, dem Duktus der an pentimenti reichen Ausführung nach zu urteilen, das Stadium eine Skizze (Abb...).(11) Die Autorenschaft Annibales(12) ist unumstritten, die Datierung kontrovers, aber m. E. mit 1603 oder etwas früher anzusetzen.
Sie besitzt eine vergleichbare bühnenartige Komposition wie die Kupferfassung. Stephanus liegt mit angewinkelten Beinen auf der rechten Körperseite, der Kopf fällt, nach hinten gedreht, auf seine rechte Schulter, der linke Arm liegt schlaff auf dem Oberkörper. Das Martyrium ist beendet, drei Soldaten ziehen durch das Tor in die Stadt zurück. Die rechte Gruppe der Klagenden beugt sich zu Stephanus herunter. Von ihnen ist eine - im betonten Gegensatz zu dem leblosen Märtyrer - in hoher Affektion dargestellt. Die Anordnung des narrativen Kontrasts wird auch in der Kupfer- sowie der Leinwandfassung das dramatische Element der Steinigungsszene bleiben.
Neben dieser Zeichnung, der ersten Idee zur Stephanusikonographie, besitzen wir drei weitere Stephanussteinigungen aus dem unmittelbaren Umfeld um Annibale. Der Künstler war in seiner zweiten römischen Periode gezwungen, eine große Werkstatt zu führen, um die Aufträge bewältigen zu können. Als Mitarbeiter waren ihr neben anderen zugehörig Domenichino und Antonio Carracci, Annibales Neffe. Als Malerkollege sei hier Adam Elsheimer zusätzlich hinzugenommen, weil die wechselseitige Wahrnehmung zwischen ihm und Annibale bereist von zeitgenössischen Quellen betont wird.

Domenichino
Zwischen 1605 bis 1607/08(13) zu datieren, also während seines ersten römischen Aufenthalts als Mitarbeiter Annibales, hat Domenichino mit diesem Gemälde eine eigene invenzione des Stephanusmartyriums(14) (Abb....) geliefert. Gemalt auf einer Kupferplatte mit den Maßen 55 x 60 cm, besitzt das in Chantilly aufbewahrte Gemälde annähernd die Größe von Annibales Leinwandfassung. Von der Datierung später als Annibales Kupferarbeit gefertigt, greift sie auf die dort figurierte Architekturszenerie sowie den gestus des Saulus zurück, rezipiert im habitus den Stephanus und die Betrachterfiguren der Windsorskizze, verweigert sich dadurch, was zu zeigen sein wird, dem Rekurs auf die narrative Ebene der Apostelgeschichte.
Domenichino greift in habitus und gestus des Märtyrers die Windsor-Zeichnung Annibales zur 'Totenklage um Stephanus' (Abb.3) auf. Wenngleich Annibale dort den toten Diakon in gänzlich liegender Haltung konzipiert hat, so wird die Grundanlage der Figur von Domenichino übernommen: das sind die angewinkelten Beine, die seitliche Körperlage, der in den Nacken gefallene Kopf, der ausgestemmte und der über den Unterleib gelegte Arm. Zudem hat Domenichino den Stephanus ebenfalls in der linken vorderen Bildecke verortet und nach links ausgerichtet, wie von Annibale in der Windsorskizze und der Kupferfassung vorgeprägt.
Stephanus starrt, von einer gezirkelten Glorie umgeben, mit verdrehten Augen himmelwärts. Da die Augen fast gänzlich aus dem hochgedrehten Weiß des Augapfels bestehen, fixieren sie nicht die Vision. Sie liegt außerhalb der vermeintlichen Blickachse und scheint mithin als exstatische Innenschau erfahren zu werden.
Domenichinos sowie Annibales Bildfindungen offerieren Differenzen im wirkungsästhetischen Kalkül. Ihre Semantik sei später analysiert; festzuhalten bleibt hier, daß Domenichino weder in gestus noch habitus ein Verweis auf die Apostelgeschichte immanent ist. Die Elemente hoher Narration, die in der Quelle durch die Abfolge der zwei Bittgebete dargelegt werden, finden in der Bildsprache Domenichinos kein Äquivalent.

Antonio Carracci: 'Martyrdom of Saint Stephen'
Antonio Carracci (1589-1618), ab 1602 Mitarbeiter bei Annibale in Rom, fertigt eine auf 1610 zu datierende Fassung der Stephanussteinigung an (Abb....). Sie ist die späteste der hier behandelten Gemälde, und erst ein Jahr nach Annibales Tod ausgeführt (und heute in London aufbewahrt(15)). Antonio übernimmt für die Stephanusgestalt die von Domenichino entwickelte Gebärdensprache. Allerdings integriert er sie unter weitestgehender Reduzierung des Personals in eine Neuformulierung der Bildstruktur. (16)
Stephanus wird leicht nach rechts aus der Bildmitte herausgerückt. Sein 'himmelnder Blick' fällt unmittelbar in die linke obere Bildecke. Hier im vultus also identisch mit Domenichino, so ist die Platzierung der Vision in eben die linke obere Ecke eine eigenständige Formulierung Antonios. Die Vision liegt damit direkt in der Blickachse des Märtyrers. Gegenüber der invenzione Domenichinos wird dadurch die narrative Wahrscheinlichkeit und ihre bilddiagonale Anordnung zurückgewonnen, respektive einer Umdeutung unterzogen. Sie ist nun, wie bei Annibale vorgeprägt, externe bildliche Erscheinung, die auch bildlich rezipiert wird.

Adam Elsheimer
Eine fünfte invenzione des Stephanusmartyriums ist durch Adam Elsheimer (1578-1610) entwickelt worden.(17) Sie ist von Elsheimer auf eine versilberte Kupfertafel mit den Maßen 34,7 x 28,6 cm gemalt worden, um 1604 zu datieren.(18) Die Darstellung versammelt, obwohl es die kleinste der hier besprochenen Arbeiten ist, eine vielzählige Zuschauermenge um das Martyrium, die geöffneten Himmel offenbaren die gesamten Heerscharen Gottes. Die Evidenz eines großformatigen Historiengemäldes scheint bewußt gesucht zu sein, und mittels eines präzisen wirkungsästhetischen Kalküls in Lichtregie und Farbgebung büßt es trotz der dichtgedrängten Form nicht an Intensität ein.(19)
Stephanus kniet vorne rechts auf beiden Knien, sein Oberkörper ist nur unmerklich aus dem Profil gedreht, sein Kopf bildparallel gezeigt. Die Augen blicken aufwärts zu den vor ihm stehenden Reitern, dabei in Kontrast zu seiner Kopfhaltung gesetzt, der der erhobenen Blickrichtung nicht folgt. Der Oberkörper scheint im Begriff zu sein, vornüber zu sinken. Die Arme hängen - nur andeutungsweise angewinkelt - schlaff herab, die Hände völlig kraftlos. Diese gegenüber Annibale eigenständige Formulierung der wirkungsästhetischen Physiogomie wird unterstützt durch die alludierte Imitatio Christi: die Kreuztragung Christi ist der Dalmatika des Märtyrers eingestickt.(20)
II. Typengeschichte des Stephanusmartyriums
Die vier vorgestellten Bildbeispiele einer Stephanussteinigung, alle im unmittelbaren Werkstattzusammenhang in Rom zwischen 1603 und 1610 entstanden, dürften deutlich gemacht haben, daß die Frage nach der Gestik in Text und Bild von kunsthistorischer Seite Probleme der Sukzession aufwirft. Denn der Quellenlage nach basieren sie alle auf der Schilderung der Apostelgeschichte. Die dort vorgelegten gestischen Beschreibungen habe ich referiert: schlüssig lassen sie sich allein auf die Kupferfassung von Annibale Carracci beziehen. Die anderen Darstellungsvarianten sind mit ihr nicht zu erfassen.
Vielleicht muß auch die unmittelbare Erklärung von Gesten in den bildenden Künsten als unzulässig gelten, solange das Medium der Artikulation selbst nicht beachtet, hier also in seiner visuellen Strategie erstgenommen wird.
Für unsere Frage ergeben sich daraus drei Analyseschritte. Im Folgenden wird zunächst die rein visuell gelagerte Geschichte der Gestik herangezogen. Dann gilt es die kunsttheoretische Traktatliteratur nach Bedeutungsvarianten für die Gestik zu befragen, um schließlich die Ergebnisse mithilfe des theologischen Dekorums gegenzulesen.
Die bildlich überlieferte Geschichte der Gestik ist Erkenntnisgegenstand der Ikonographie. Bezogen auf einzelne Sujets, in unserem Falle die Stephanussteinigung, ist dabei genauer von einer Typengeschichte zu sprechen. Sie trägt dem Umstand Rechnung, daß künstlerische Produktion sich gegenseitig rezipiert, mithin in einer Sukzession steht. Für die frühe Neuzeit des Abendlandes kann es sich dabei natürlich nur um eine partielle Nachfolge handeln. Dennoch ist es lohnenswert, diese Genese zurückzuverfolgen, denn sie kann als Korrektiv herangezogen werden bei der Beurteilung der einzelnen invenzione: Die Innovation eines Werks tritt in historischer Betrachtung erst im Verhältnis zu anderen Werken in Erscheinung.
Obgleich die Geschichte der Stephanussteinigung noch nicht geschrieben ist, sei hier dennoch ein erster Überblick skizziert, um das bildliche Potential der Gestensprache unserer Bilder zu bestimmen.
Für Annibale Kupferfassung haben wir eingangs konstatiert, daß über die Quellenlage hinausgehend die Gebetsgeste des Heiligen auf die Vision bezogen wird. Ist die Vision ursprünglich Bestandteil des Verhörs vor dem Synedrium, also zeitlich und geographisch verlagert, so zieht Annibale sie simultan mit der Steinigung in einem einzigen Bild zusammen: topische Fähigkeit der Malerei im Unterschied zur Dichtung. Dennoch müssen wir die Innovation des Künstlers relativieren, denn mithilfe der Typengeschichte läßt sich zeigen, daß bereits die früheste überlieferte Darstellung des Stephanusmartyriums diese Ineinssetzung von Vision und Steinigung geleistet, d. h die Geste des Heiligen mit der göttlichen Erscheinung korreliert hat.
Die Darstellung, die Sie hier sehen, stammt aus der sogenannten "Christlichen Topographie" des Cosmas Indicopleustes. Es ist eine der Gattung der antiken Weltchronik vergleichbare Textsammlung, die die ersten uns greifbaren Szenen zur Apostelgeschichte enthält.(21) Die getreueste Wiedergabe der um 547 bis 549 verfaßten Vorlage sieht die Forschung in einer in Florenz aufbewahrten Handschrift.(22) Auf fol. 170v (Abb....) wird dort die Steinigung des Stephanus in dem für das Abendland vorbildlich gewordenen sogenannten 'byzantinischen Typus'(23) illustriert: In einer hügeligen Landschaft kniet Stephanus in der rechten Bildhälfte. Hinter ihm stehen zwei wurfbereite Steiniger, die wiederum von dem hinter ihnen sitzenden Saulus dirigiert werden.
In seiner gereihten Ausrichtung ist das ikonographische Gerüst konstitutiv für den byzantinischen Typus. Auffällig ist allen Illustrationen der gestus und habitus des Märtyrers gemeinsam. Er wird zum rechten Bildrand ausgerichtet; seine Hände, auch das ist verbindliche Ikonographie, werden mit der Vision entgegen erhobenen, geöffneten Handflächen gezeigt. Der Kopf - und soweit die Erhaltungszustände der Handschriften hier entsprechende Aussagen zulassen - auch die Augen sind jeweils zur Vision emporgerichtet.
Die Übernahme dieses "byzantinischen Typus" durch das Abendland wird von Kodizes geleistet, die in Verona zu Beginn des 13. Jahrhunderts entstehen. Der erste von ihnen ist wohl der sogenannte Giustiniani-Kodex(24), der auf fol. 127r (Abb.13) das Stephanusmartyrium illustriert.
Die genaue Rezeptionsgeschichte, komplexer als hier zu referieren, habe ich an anderem Ort herausgearbeitet. Für unsere Frage nach der bildlichen Gestaltung der Gestik mag hinreichend sein sich auf den geographische Umraum zu konzentrieren, in dem Annibale Carracci seine Stephanussteinigung geschaffen hat.
In Rom bündelt die Freskierung der Sancta Sanctorum (Abb.17), wohl nach 1278/79 entstanden, die Überlieferung des byzantinischen Typus.(25) Allerdings: Die personale Vision ist ein Produkt des Westreichs. Signifikant auch der gestus des Stephanus: seine Hände öffnen sich nicht mehr der Vision entgegen, sondern sind zum Gebet aufeinandergelegt. Die Anzahl der Steiniger ist beträchtlich gewachsen, eine wohl bereits in dem römischen Pauluszyklus von San Paolo fuori le mura (Abb....) angelegte Modifikation.
Das 1823 durch Brand zerstörte Stephanusmartyrium in S. Paolo f.l.m.(26) (Abb.18), das mit der Verhörszene und der Grablegung des Märtyrers den an der linken Hochschiffwand befindlichen Pauluszyklus eröffnet, ist zuletzt von Jens Wollesen(27) als Vorlage für Sancta Sanctorum ausgewiesen worden. Ist die dabei notwendige Szeneninversion auch kein Gegenargument, so legt die oben vorgelegte ikonographische Genese des Stephanusmartyriums aus byzantinischen Wurzeln nahe, daß das lateranensische Fresko durch Vermittlung der Buchmalerei auf dem byzantinischen Typus rekurriert, mitnichten also nur auf einer vage als "frühchristlicher Typus"(28) zu charakterisierenden Tradition beruht. So umstritten die Datierung der ostiensischen Fresken auch ist, der Gebetsgestus des Stephanus orientiert sich an der byzantinischen Formulierung. Da jedoch die Anordnung der Steiniger nicht dem byzantinischen Typus entspricht, hat Luba Eleen die Fragestellung aufgeworfen, ob in S. Paolo f.l.m. nicht ein Parallel-Typus zu Byzanz gesehen werden muß.(29) Eine ähnliche, in die ersten Jahrhunderte legende Datierung der Fresken hat Rainer Warland vorgeschlagen, indem er die Vision des Stephanus als 'frühchristliche Theophanieszene'(30) zu identifizieren suchte. Daß diese Vision ungewöhnlicherweise auf der linken Seite dargestellt wird, beruht, so Warland, auf der Leserichtung, die vom Triumphbogen zur Eingangswand verläuft.(31)
Die Grabkirche des Stephanus in Rom, San Lorenzo fuori le mura, besitzt im Portikus einen um 1295 zu datierenden Freskenzyklus ihrer beiden Heiligen.(32) Die linke Seite der Eingangswand ist mit der Vita des Stephanus freskiert, und zeigt in der zweiten Szene das Martyrium des Heiligen(33) (Abb...). Auffällig ist das ikonographische Gerüst der Szene von der in Sancta Sanctorum und S. Paolo f.l.m. unterschieden: Stephanus kniet mittig, rechts und links umstellt von den Steinigern und Saulus, eine verschränkte Anordnung der Figuren.
Wir besitzen also bereits am Ende des 13. Jahrhunderts in Rom Beispiele eines Stephanus genuflex, z.Tl. mit zum Gebet zusammengelegten Händen, der Vision entgegengestreckt. Die byzantinische Herkunft der Verbindung von Vision und Geste ist genannt worden. Die Haltung der Gebetsgebärde, die die Hände aufeinander legt, Entwicklung des abendländischen Dugento.
Die Ikonographie des 14. und 15. Jahrhunderts orientiert sichweiterhin an der ursprünglich byzantinischen Bildfindung, die jedoch jetzt fester Bestandteil der italienischen Kunstproduktion geworden ist und damit Modifikationen zugänglich. Insbesondere wird die verschränkte Darstellunganordnung von dem Fresko in San Lorenzo fouri le mura einer immer stärkeren Rezeption unterzogen. Ein Beispiel unter vielen: Filippo Lippi um 1460 im Dom von Prato.(34) Hier wird zudem bei Stephanus die Gebetgeste der nun zumeist gefalteten Hände aufgebrochen und der Habitus in die Hinwendung zur Vision mit einbezogen. Entscheidende Neuerungen zugunsten hoher Narrativität erhält die Stephanusikonographie durch die Arbeiten Raffaels. Mit den Forderungen der varietà werden in gestus und habitus des Märtyrers und der Steiniger vielfache Differenzierungen vorgenommen. Zunächst in einer Skizze von 1512(35), dann in der 1515/17 entwickelten Teppichserie für die Sixtinische Kapelle(36) (Abb.27) formuliert Raffael eine gänzlich neue Bildfindung, die maßgeblich für die weitere Stephanusikonographie werden sollte. Im Ergebnis ist festzuhalten, daß erstmals die von der Apostelgeschichte explizit geschilderte Vision auch ausformulierter Bestandteil der Stephanusdarstellung wird: In der rechten oberen Ecke des Teppichs geben die von Engeln beiseitegeschobenen Wolken den Blick frei auf Christus sowie, und das ist die entscheidende Neuerung, auf Gott. Der somit explizit als der erhöhte Menschensohn ausgewiesene Christus wendet sich dabei, wie bei Filippo Lippi vorgeprägt, mit geöffneten Armen seinem Märtyrer zu, während Gott mit segnender Hand hinter ihm erscheint.
Stephanus selbst ist in hoher Affektion geschildert: mit aufgerissenem Mund blickt er himmelwärts zur Vision. Er scheint dabei im Begriff zu sein, unter der Last der Steine auch auf sein rechtes Knie niederzusinken, denn mit der linken Hand ist er genötigt, sich auf dem Boden abzustützen. Die Rechte dagegen öffnet sich zur Vision; diese vollzieht damit einen dem physischen Ablauf des Steinigens nicht wahrscheinlichen gestus, sondern verkörpert die dem Leiden souverän enthobene innere Haltung des Märtyrers. Sein Wille zur Passion, so deutet die komplementäre Gestik den affetto misto an, unterliegt nicht dem Akt des Sterbens.
Diese widerläufige Gestik ist nicht Bestandteil der Quellenlage. Ihr Modus wird jedoch unmittelbar rezipiert werden in den weiteren Stepahnussteinigungen nach Raffael, bis hin zu Annibale und Domenichino!
III. Traktate
Die visuelle Dependenz der Gestik ist damit in aller Kürze umrissen. Für ihre je einzelne begrifflich gelagerte Semantik ist damit aber, soweit ich sehe, nur wenig geleistet!
In einem dritten Schritt soll nun der Versuch unternommen werden, die Gestik mithilfe der Traktatliteratur inhaltlich zu füllen. Gemeinsames Postulat der Traktate nach dem Konzil von Trient ist die Definition der wirkungsästhetischen Strategie des Kunstwerks vermöge seines psychagogischen Potentials. Die persuasio des Betrachters ist Ziel und zugleich Legitimation religiöser Kunst, d.h hier der Historienmalerei katholischer Provenienz. Die Neubewertung und Legalisierung des rhetorischen movere ist Resultat einer erneuten Rezeption antiker Redekunst und Poetik sowie Ergebnis papal autorisierter Kunstdefinition.
Allerdings: Die konkrete Ausgestaltung der Bildsprache, ihre je bildliche Inszenierung, ist wesentlich unpräziser erfaßt. Eine Sonderstellung, und für uns um so aufschlußreicher, nimmt dabei jedoch die Physiognomik ein. Denn ihre wirkungsästhetische Rolle war bereits aus der antiken Rhetorik zu erruieren. Bezogen auf die stumme Sprache des Kunstwerks, galt es nun die inneren Seelenregungen durch äußerliche Körperbewegungen sichtbar zu machen. Damit eröffnet also die physiognomische Charakterisierung der Bildprotagonisten in Gestik, Mimik und Habitus dem Betrachter, das Bildgeschehen nicht nur intellektual zu lesen, sondern vielmehr emotional zu rezipieren.
Die herausragende Stellung der Physiognomik als Artikulationsorgan der Bildsprache gibt die Grundlage, bildkünstlerische Gestik korrelieren zu können mit der textlichen der Traktatliteratur. Die Beispiele, die ich dazu heranziehen möchte, sind zum einen Bestandteil des Tridentinums, zum anderen aber auch aus der frühen Kunsttheorie und späteren französischen Akademiediskussion. Dieser breite Zugriff ist nicht willkürlich gewählt, sondern zwei Umständen geschuldet. Zum einen gereift die Kunsttheorie des Seicento auf Kunstwerke des vorangegangenen Jahrhunderts zurück. Zum anderen versucht dieser Ansatz die fehlende Systematik der Traktate im Cinquecento auszugleichen. Arbeitshypothese, das hat Rudolf Preimesberger gezeigt, muß eine "Bedeutungskonstanz"(37) sein. Evidenzen sind hier hinreichend, denn die direkte Rezeptionsgeschichte der Traktatliteratur ist für Annibale Carracci nicht zu rekonstruieren.(38)
Gemeinsam ist den Stephanusmartyrien von Annibale und Antonio Carracci der 'himmelnde Blick' des Heiligen. Wahrscheinlich gemacht durch den narrativen Ablauf der in der Quellenlage geschilderten Verhörszene vor dem Synedrium (Stephanus blickt am Ende der Verteidigungsrede zum Himmel(39) hinauf), sind die nach oben gerichteten Augen konstitutiver Bestandteil der Steinigungsszene. Cesare Ripa schließlich sollte 1603 in seiner Iconologia für alle Martyriumsszenen die generelle Forderung erheben, daß die Mimik "con l'occhi rivolti al cielo"(40) dazustellen sei. Oder Charles Le Brun kodifiziert in seiner Akademierede von 1668 die Verzückung ob göttlicher Offenbarung – "Le ravissement" - in eben diesem himmelnden Blick (hier in einem seitenverkehrten Stich von Bernard Picart aus dem Amsterdamer Ausgabe von 1702; Abb......). So kann auch Bellori, im Rahmen der Vecchiarella-Anekdote, Domenichinos Figur des Heiligen Andreas gerade aufgrund der Tatsache loben, daß dieser "rivolte le luci e lo spirito al cielo."(41) Dadurch werde nämlich angezeigt, der Märtyrer sei "colmo di speranza e di grazia divina"(42). Die 'himmelnden Blicke' lassen sich in ihrer Bedeutungsreferenz durch Le Bruns Akademierede von 1668 weiter zuspitzen. Die die Erkenntnisfähigkeit der Seele übersteigende Offenbarung des Göttlichen, so argumentiert der königliche Hofmaler, erhöhe den Affekt der Bewunderung zu dem der Verzückung.(43) 'Le Ravissement' eignet dabei der mimische Hinweis, "les sourcils [sera] élevé en haut, e la prunelle sera de meme"(44). Der Kopf, so die weitergehende Forderung zur Körperbewegung "sera penchée du côte du coeur", dadurch scheint er nämlich "marquer l'abaissement de l'ame e son incapacité"(45). Mimik und Kopfhaltung im Referat Le Bruns entsprechen also, das bleibt zu konstatieren, der Darstellung des Stephanus in Annibales Kupfer- und Leinwandfassung(46) wie auch der in Windsor aufbewahrten Zeichnung eines Niobidenkopfes(47).
Die Geschichte des himmelnden Blicks als Vision, Inspiration und Anbetung wurde von Gregor Weber und mir im letzten Winter in der Gemäldegalerie Dresden herausgearbeitet.(48) Es genügt hier die Feststellung, daß die zum Himmel erhobenen Augen des Stephanus das grundlegende theologische Dekorum dieser Figur ausmachen, nämlich der vollgültigen Imitatio Christi. Dabei kann mithilfe der Gestik diese allgemeine Bildaussage präzisiert werden.
Nocheinmal also zu Annibales Kupferfassung (Abb.1). Lomazzo ordnet im zweiten Buch seines Trattato dell' arte della pittura, scoltura et architettura (Mailand 1584), das die einzelnen Gemütszustände zu klassifizieren sucht, den Heiligen Stephanus unter das Rubrum 'costanza'(49): Standhaftigkeit zeige sich in Figuren, die sich nicht den Zielen der Peinigern beugen, sondern dem eigenen Gedanken folgen. Wie Hiob, Katharina und alle anderen "invitte vergini e martiri"(50), sei eben auch Stephanus ein Beispiel "di Costanza maravilgliosa e singolare"(51). Die Bewegungangaben, mit denen Lomazzo den Affekt dargestellt wissen will, sind "forte, stabili e fermi"(52). In ihren eher literarischen als visuellen Charakteristika sind diese Hinweise zu unpräzis, als daß sie konkret nachvollziehbare Spuren in der Kunstproduktion hinterlassen haben könnten. In unserem Zusammenhang weiterführender scheinen die Angaben zu sein, die Lomazzo bezüglich des 'dolore'(53) gibt. Stephanus wird in dieser Affektkategorie ebenfalls als historische Beispielfigur erwähnt, künstlerisches Vorbild ist neben anderen die Laokoongruppe.(54) Weil aber die darzustellende Körperhaltung der jeweils zu erleidenden Qual entsprechen muß, sind, so Lomazzos Forderung, auch die moti der Stephanusfigur zu modifizieren. Einen Katalog möglicher Darstellungsarten von Gestik und Mimik stellt Lomazzo zwar auf, jedoch nur allgemein für 'dolore', nicht aber spezifisch auf Stephanus bezogen.(55)
Domenichino (Abb.4) und, von ihm abhängig, Antonio Carracci (Abb.5) scheinen dagegen in ihrer Stephanusfigur den Angaben zu folgen, die Lomazzo bezüglich des Sterbenden oder Toten gibt. Der 'morte', so listet Lomazzo für die mimische Physiognomie auf, "fa alzar gl'occhi in alto, sí che s'asconde mezzo il nero dell'occhio per disopra, et apri la bocca"(56). Wurde eingangs der verdrehte Blick des Märtyrers als Ausdruck innerer Vision gewertet, so ist im Rekurs auf Lomazzo die Variante hinzuzufügen, daß es sich bei den hochgedrehten Augen und halbverdeckten Pupillen sowie dem leicht geöffneten Mund um die Mimik eines Sterbenden handle. Anders als in der Nachfolgearbeit von Antonio Carracci durchgeführt, hätte Domenichino mit dem extrem nach hinten ins Genick fallenden Kopf des Märtyrers die Kategorie des 'morte' in aller Anschaulichkeit wahrscheinlich gemacht. Der vultus bei Antonio Carracci dagegen läßt sich als externe Visionserfahrung begreifen, da die geöffneten Himmel, wie oben bereits ausgeführt, in die Blickachse des Heiligen gerückt sind.
Die Mimik des von Elsheimer dargestellten Stephanus (Abb...) scheint weder Verzückung noch Tod ausdrücken zu wollen, sondern die dem Ereignis nicht unwahrscheinlichen physischen Qualen. Mit Le Bruns Abhandlung lassen sich dabei nicht nur die nach oben gewendeten Augen herleiten, sondern gerade der weit geöffnete Mund ist sicherer Indikator für eine Zuordnung zum 'douleur corporelle'(57). Die Gestik unterstützt diese Lesart, drücken nach John Bulwers Chirologia von 1644 schlaff herabhängende Arme und Hände Verzweiflung(58) aus. Ebenso schreibt Leonardo dem Künstler den von der herabziehenden Schwerkraft geprägten habitus als Zustand der Verzweiflung vor.(59)
Elsheimer zentriert also, so die naheliegende Konjektur, seine Stephanussteinigung auf die physischen Aspekte des Martyriums. Der Referenzrahmen ist Qual und Verzweiflung, wohl unmittelbar vor dem Moment der offenbarten Erlösung zu lesen. Folglich ist die mit der eigenen Inkarnation bezeugte Imitatio Christi nicht nur narrativ in dem blutigen Verlauf der Steinigung geschildert, nicht nur allusiv mit der Kreuztragung Christi auf die Dalmatika eingestickt, sondern auch, das sei hier betont, Bildsprache der mimischen und gestischen Physiognomie des Märtyrers.
Die Gestik, die Domenichino und Antonio Carracci der Stephanusfigur beigegeben haben, formuliert gekonnt einen affetto misto. Der halb liegende, auf den rechten Arm aufgestützte habitus übernimmt die Angaben, die Leonardo für die Besiegten und Geschlagenen einer Schlacht gibt. (60) Domenichino weicht allerding in einem spezifischen Bestandteil der Geste von Leonardos Vorgabe ab, derzufolge nämlich der freie Arm zur Abwehr erhoben sein müßte. Abwehr aber, das scheint Domenichino ausdrücken zu wollen, ist dem Martyriumsgedanken nicht innewohnend. Gerade weil der linke Arm des Stephanus auf dem Unterleib ruht und keinen Versuch einer Verteidungung macht, wird das Martyrium bejaht. Ein affetto misto insofern, als daß die Figur im habitus die Qual der Steinigung, im vultus den Vollzug des Sterbens darstellt, ihre im gestus ausgedrückte Seelenhaltung aber auf die dem Martyrium immanente Kraft der Erlösung gerichtet ist.
Die eschatologische Dimension des Martyriums scheint auch Annibale in seiner Kupferfassung (Abb.1) akzentuiert zu haben. Denn die Verzückung durch göttliche Offenbarung, so war oben die mimische Physiognomie zu lesen, korrespondiert mit dem gestus der Figur. Unschwer als Gebetshaltung(61) zu bestimmen, gibt der habitus dabei den Referenzrahmen des Gebets vor. Die Haltung 'genuflex', bereits in mittelalterlichen Ordensregeln einer ausführlichen Kodifizierung(62) unterzogen, bezeichnet nach dem Kommentar der Legenda aurea(63) das höherwertige Gebet gegenüber dem in stehender Haltung vollzogenen. Annibale wahrt also das historische Dekorum, wenn er Stephanus in kniender Gebetshaltung zeigt; nach Lage der Quellen das Bittgebet für seine Peiniger, nach Sichtung der Denkmäler Bestandteil des byzantinischen Typus(64). Dennoch betont Annibale ebenfalls die Verzückung, die Stephanus durch die Vision erfährt. Nicht nur die Mimik verkörpert dies, sondern auch die Gestik. Denn Annibale folgt im habitus dem bereits von Leonardo beobachteten motorischen Bewegungsablauf, der sich bei dem Menschen zeigt, vor den der Gegenstand der Aufmerksamkeit sowohl von außen als auch überraschend tritt. Denn dann wird er zuerst dem Objekt das wichtigste Sinnesorgan zuwenden ("all'obbietto il senso piu necessario"(65)), nämlich das Auge; dagegen "lasciando stare li piedi al primo logo, et solo move le coscie insieme co'fianchi et i gionocchi verso quella parte, dove si volta l'occhio"(66). Annibales Auffächerung der Körperglieder seines Heiligen in verschiedene Richtungsvektoren, gestuft zwischen Augen, Kopf, Oberkörper und Beinen, verkörpert leonardeske Empirie. Somit ist die Figur des Stephanus im affetto misto gegeben, denn ihr ist sowohl die Verzückung ob göttlicher Offenbarung als auch das willentlich geleistete Bittgebet für die Schergen inhärent. Sie steht damit in Kontrast zur Stephanusgestalt der Leinwandfassung (Abb.2). Denn in letzterer, das wurde oben gezeigt, indiziert die mimische Physiognomie zwar ebenfalls 'le ravissement', der Gestus eröffnet aber keinen zweiten Affekt, sondern ist identisch mit dem vultus. Die dem Objekt der Vision zugewendeten offenen Handflächen wiederholen das 'admirare'(67).
Für die Gestik des Saulus, die Wurfbewegungen der Schergen, die Offenbarung der Vision lassen sich ebenfalls inhaltliche Korrespondenzen zur Traktatliteratur aufzeigen. Sie muß hier übersprungen werden. Exemplarisch konnte gezeigt werden, daß die Verrechnung der Stephanusmartyrien mit gestischen Angaben der Traktatliteratur nicht nur die Interdependenz beider aufzuzeigen vermag, sondern auch die präzise Konnotation der einzelnen Gesten. Die veranschlagte Kohärenz muß sich abschließend untermauern lassen durch die Parallelität des wirkungsästhetischen Kalküls mit dem dem Stephanusmartyrium als Historienbild innewohnenden theologischen Dekorum.
IV. Theologisches Dekorum
Das theologische Dekorum des Stephanusmartyriums besitzt zwei Referenzpunkte, die in den analysierten pikturalen Umsetzungen verbunden werden: Martyrium und Vision. Bestandteil schon der frühchristlichen Ikonographie, das konnte oben besonders für den byzantinischen Typus gezeigt werden, ist diese Verknüpfung der in der Quellenlage sukzessiv verlaufenden Ereignisse dennoch eine immer wieder selbstgestellte difficoltà.
Die Lebenshingabe des Märtyrers erfährt in der Diskussion der Kirchenväter einen komplexen Referenzrahmen, der die Grundlage der Heiligenverehrung bilden wird. Sie ist zuallererst Imitatio Christi (Mk. 8,34)
Es ist dann Ergebnis patristischer Exegese, derzufolge der Märtyrer nicht nur sich selbst aller Sünden zu reinigen in der Lage ist, sondern als Fürsprecher am himmlischen Thron fungieren kann. Indem nämlich bereits Mitte des dritten Jahrhunderts der Märtyrerstatus per definitionem an den erlittenen Tod(68) geknüpft war, konnte das Martyrium als zweite Taufe gesehen werden.(69) Beide Seiten des Christuskerygma werden also vom Martyrium umfaßt: den um des Glaubens willen erlittenen Tod durch Menschenhand sowie die Aufnahme in den Himmel durch göttliches Wirken.
Die in der Reliquienverehrung sich manifestierende "zweifache Gegenwart des Heiligen"(70), die Präsenz der anima am Throne Gottes sowie die auf der Erde bis zum Jüngsten Gericht zurückgelassenen Gebeine, ist Bedingung der intercessio. Sie scheint im Zuge der Gegenreformation neue Aufmerksamkeit erfahren zu haben: Die Signifikanz von Märtyrerzyklen als Ausstattungsprogramm gerade römischer Kirchen konnte die Forschung nicht nur belegen, sondern eine überragende Häufung der Darstellung für das letzte Viertel des Cinquecento im Übergang zum Seicento feststellen.(71) In diesem Kontext kommt der Stephanussteinigung nicht nur eine hervorgehobene Position zu, weil sie das Protomartyrium bildet, sondern aufgrund der in exemplarischer Weise eingelösten Imitatio Christi.(72)
Die Darstellung von Elsheimer (Abb....) betont das physische Erleiden des Todes. Verzweiflung und Qual wurden als die Referenzpunkte einer kodifizierten gestischen Sprache erkannt. Im Sinne aristotelischer Poetik eine Prolepse, denn für die Augen des Rezipienten kündigt sich bereits das Rettungsparadigma in Gestalt der geöffneten Himmel an.
Domenichino, und in seiner Nachfolge Antonio Carracci (Abb...5), zentrieren die Darstellung auf die im Zuge des Gnadenstreits zwischen 1602 und 1607 erneut kontrovers diskutierte Frage menschlicher Mitgestaltung an göttlich gewährter Gnade. Die im gestus visuell ausgesprochene Zustimmung des Stephanus zur eigenen Imitatio Christi scheint, wie oben analysiert, identisch zu sein mit der von jesuitischer Seite erhobenen Forderung nach willentlicher Beteiligung des Menschen an seiner Errettung.(73)
Annibale fokussiert seine beiden Bilder auf die individuell und universell verstandene eschatologische Ausrichtung des Stephanusmartyriums. Sowohl in der Kupfer- als auch in der Leinwandfassung (Abb... und ....) wird mit den Mitteln wirkungsästhetischer Bildsprache die Verzückung ob göttlicher Offenbarung formuliert. Darüberhinaus schildert die Kupferfassung in Gestus und Körperhaltung des Stephanus das Bittgebet für die Peiniger.(74) Da dieses in Parallele zu den letzten Worten Christi steht, unterstreicht Annibales Darstellung die Vorbildlichkeit der stephaneischen Imitatio Christi, die sogar die verlangte Feindesliebe (Lk. 6,27-31) mit einschließt.(75)
Die Wirkungsästhetik der Gestik bestimmt damit die Funktion des privaten Andachtsbildes: Auch der historische Betrachter darf sich der Fürsprache des Heiligen anvertrauen, denn das Kunstwerk macht gleichsam als antwortendes Gegenbild die göttliche Teilhabe an dem Martyrium sichtbar. Was Stephanus daselbst rhetorisch vermitteln mußte, gewinnt hier in der bildlichen Inszenierung von Gestik und Vision sinnenfällige Evidenz.

(1) Giovanni Battista Agucchi: Trattato 1646; in: Mahon 1947, S. 254.
(2) Thomann 1992, S. 212.
(3) Paris, Musée du Louvre, Inv. 204; vgl. Kat. Paris 1981 II, Nr. 204, und Posner 1971 II, Nr. 141.
(4) Lee 1967, 16f; Preimesberger 1986, 209.
(5) Summers 1981, 117ff.
(6) Vgl. LThK VII, Sp. 1050f., sowie Bibliotheca Sanctorum XI, Sp. 1376-1378.
(7) Stephanus war "plenus gratia et fortitudine faciebat prodigia et signa magna in populo" (Apg. 6,8).
(8) Im heutigen Erhaltungszustand ist von dem dritten Engel zur Linken Gottes nur mehr der Unterarm zu sehen, der spiegelbildlich zum linken Engel die Wolken wegzuschieben trachtet; vollständig überliefert im Stich von Chasteau, Rom, Biblioteca Corsiniana, Vol. 33 I 9 (vgl. AK Rom 1986, S. 237, Nr. LVIII/1) sowie sichtbar in der Gemäldereproduktion Kat. Bologna 1956 I, Abb. 111.
(9) Günter Figal, Der Sinn des Verstehens. Beiträge zur hermeneutischen Philosophie, Stuttgart 1996, S. 17.
(10) Paris, Musée du Louvre, Inv. 203. Vgl. Posner 1962 II, 268, und Posner 1971 II, 64, als Werkstatt; Kat. Paris 1981 II, 163, Nr. 203 als Annibale.
(11) Windsor, Windsor Castle, Inv. 2148, Maße 202 x 267 mm, ausgeführt in Bleistift und brauner Tinte (vgl. Kat. Windsor 1952, 155, Nr. 414, Abb. 52).
(12) Kat. Windsor 1952, 155, Nr. 414; Vitzthum 1962, 76. Rudolf Wittkower (Kat.Windsor 1952, 155, Nr. 414) schlägt eine Entstehung der Windsor-Zeichnung in der frühen römischen Periode Annibales vor, wenngleich sein Plädoyer ausschließlich auf der Basis einer im Louvre befindlichen Blattes (Paris, Cabinet des Dessins, Musée du Louvre, Inv. 7172; Abbildung bei Vitzthum 1962, 78, Abb. 30) zu argumentieren vermag. Diese Louvre-Zeichnung ist wesentlich ausgeführter als die vorliegende aus Windsor: im Aufbau und Figurenanordnung ähnlich, weist sie jedoch in der Körperhaltung des Stephanus signifikante Unterschiede auf. Er ist, in Rückenlage, insgesamt gestreckter dargestellt, sein linker Arm liegt auf der Hüfte, der rechte ist ausgestemmt, das linke Bein überkreuzt das angewinkelte rechte. Sein habitus steht somit mit Annibales Wiener "Pietà" (Kunsthistorisches Museum, Inv. 230, um 1603; vgl. Kat. Wien 1991, 41) in Verbindung.
(13) Spear 1982 I, 144f.
(14) Chantilly, Musée Condé, Inv. 70. Vgl. Spear 1982 I, 144f, Nr. 24, Abb. 40, sowie Kat. Chantilly 1988, 76-79, Nr. 30, Abb. 77. Weitere Fassungen des Sujets sind nicht überliefert, wenn auch der Londonder Kunsthandel 1804 zwei weitere, heute unbekannte Stephanusmartyrien Domenichino zuschreiben zu können glaubte (Kat. Chantilly 1988, 76). Spear nennt eine verschollene Kopie in New York, Anthony Clark Collection (Spear 1982 I, 144), Kat. Chantilly 1988, 76, führt zwei abhängige Fassungen an: Genua, Durazzo Palavicini und die heute Antonio Carracci zugeschriebene Arbeit (London, NG 77 [vgl. Kap. III.4.]).
(15) London, National Gallery, Inv. 77, 64 x 50,1 cm; Kat. London 1995 als 'attributet to Antonio Carracci', frühere Zuschreibungsvorschläge an Domenichino werden als nicht weiter haltbar erachtet (Kat. London 1995, S. 101, NG 77). Zur Provenienz siehe Kat. London 1986, 80. Im Jahr 1812 wurde die Fassung von Testa gestochen, während sie in Besitz der Londoner Sammlung Lucien Bonaparte war, sowie 1819 von E. Lingée (ebd.). Die Abhängigkeit von Domenichino wurde von Pope-Hennessy (Kat. Windsor 1948, 35, Nr. 90) sowie von Spear, hier allerdings ohne namentliche Zuschreibung als 'studio follower' Domenichinos (Spear 1967, 57), erkannt.
(16) Kat. London 1986, S. 79.
(17) Edinburgh, National Gallery of Scotland, Inv. 2281. Im Jahr 1626 in Besitz von Paul Bril, für 1712 in der Sammlung des Kardinals Curzio Origo nachgewiesen (Kat. Edinburgh 1978, 32, Abb. 46, sowie Kat. Edinburgh 1980, Nr. 2281, Abb. S. 40; dann Sello 1988, 39-41, Abb. 16; Andrews 1985, Nr. 15, Abb. 58). Ein Stich von P. Soutman zeigt die linke Reitergruppe in freier Anordnung, ausgeführt nach einer Zeichnung von Rubens (London, British Museum, Hind Nr. 44) und in den ersten beiden Abzügen versehen mit dem Hinweis: "Adam Elshamer Inuent" (Amsterdam, Rijksmuseum, Rijksprentenkabinet, abgebildet in Mai 1984, Abb. 4; vgl. die Fassung in Frankfurt, Städel, in AK Frankfurt 1966, Nr. 291). Nach dem Erwerb des Gemäldes 1965 durch die National Gallery Scotland konnte Jost das Bild aufgrund des Stichs erstmalig identifizieren und zuschreiben (Jost 1966, 3). Eine weitere Fassung mit identischen Maßen auf ebenfalls versilbertem Kupfer - jedoch ohne den großen Engel und dem Steiniger nach Art des Marsyas - befindet sich neuerdings in Köln, Walraf-Richartz-Museum, Dep. 460 (s. Mai 1984, 309, Abb. 1).
(18) Kat. Edinburgh 1978, 32, datiert im Anschluß an Jost 1966, 5, die Entstehung auf 1602-05; Andrews 1985, 179, Nr. 15, präzisiert aus stilistischen Gründen auf 1603-04, AK Köln 1996, 29, ebenfalls. Die Stellung des Bildes in der Entwicklung des Oeuvres von der ein- zur mehrfigurigen Darstellung s. Andrews 1985, 25.
(19) Es ist also in der Kompositionsstruktur vergleichbar mit anderen römischen Werken wie der "Brand Trojas" und "Paulus auf Theben" (München, Alte Pinakothek, Inv. 204, und London, National Gallery, Inv. 3535).
(20) S.a. Sello 1988, 40.
(21) Sörries 1993 I, 145; die ausführliche Diskussion siehe Kessler 1973, 214, Eleen 1977, 264f., und Eleen 1982, 84.
(22) Überliefert in drei Kopien des neunten Jahrhunderts (Vaticana, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. gr. 699; s. Kessler 1973, Abb. 12, und Sörries 1993 II, Taf. 79 bis 80) sowie elften (Sinai, Katharinenkloster, Cod. Sinaiticus gr. 1186 und Firenze, Biblioteca Medicea Laurentiana, Cod. Plut. IX,28; vgl. Sörries 1993 I, 143). Zur Gattung s. Hunger 1978 I, 520f u. 528f.
(23) Eleen 1977, 271.
(24) Giustiniani-Kodex, fol. 127r, um 1200 gefertigt; vgl. Eleen 1977, Abb. 49. Von ihm abhängig gelten Vaticana, Biblioteca Vaticana, Cod. lat. 39, fol. 90r, sowie Cod. Chigi A.IV.74, fol. 124v; s. Eleen 1977, Abb. 47 und 48.
(25) Gardner 1973, 291ff., konnte schlüssig nachweisen, daß die Freskierung in Sancta Sanctorum nicht auf San Paolo f.l.m., sondern in der byzantinischen Buchmalerei rekurriert (Wollesen 1981, 48, verweist zwar auf oben genannten Autor, führt jedoch keine Auseinandersetzung, obwohl er ein gegenteiliges Ergebnis glaubt liefern zu können).
(26) Wilpert 1916 II, Abb. 277, und Waetzoldt 1964, Nr. 630, Abb. 368. Zur Baugeschichte s. Krautheiner 1988, 91ff.
(27) Wollesen 1981, 50, ohne Gardner 1973, 291, mit neuem Material argumentativ entkräftigen zu können.
(28) Wollesen 1981, 50.
(29) Eleen 1977, 275.
(30) Warland 1986, 104.
(31) Ebd., 105. Unter Angabe weiterer Vergleichsbeispiele wirft Warland die Frage auf, ob nicht der visionierten Ganzfigur Christi, die mit ausgestreckter Hand Stephanus entgegenschreitet, ursprünglich die Gestalt Gottes beigegeben war, die - eventuell in karolingischer Zeit - übermalt wurde (ebd., 176, Anm. 482).
(32) Diese Datierung jüngst durch Romano 1992, 26, unter Berücksichtigung der Romreise Jacobus de Voragines, auf den das Ausstattungsprogramm des Zyklus' zurückgeführt wird. Zur Baugeschichte vgl. Mondini 1995, 12ff.; die 1986 erfolgte Restaurierung ist dokumentiert in Basile u.a. 1988, 205ff.
(33) Vaticana, Biblioteca Vaticana, Cod. Barb. lat. 4403, fol. 6r.; vgl. Waetzoldt 1964, Nr. 304, Abb. 174; das Fresko in Romano 1992, 27, I, 1-1; zur Programmanordnung der Fresken siehe Fillitz 1994, 171.
(34) Filippo Lippi: Lapidazione di Santo Stefano, Prato / Firenze, Duomo, Fresko zwischen 1452 und 1465; vgl. Ruda 1993, 461, Nr. 56e, Abb. 324.
(35) Raffael, Steinigung des Stephanus, Zeichnung, Wien, Graphische Sammlung der Albertina, Inv. 211. Knab/Mitsch/Oberhuber 1983, Nr. 516 sehen in der Federzeichnung ein "frühes Entwurfstadium zum Teppichkarton" (ebd., 607).
(36) Pieter van Aelst nach Raffael, Lapidazione di Santo Stefano, Vaticana, Teppich 1517/1519. Zur Auftragslage s. Shearman 1972, 1-20.
(37) Preimesberger 1987, S. 101f., Anm. 72.
(38) Posner schlußfolgert aus dem Arbeitszusammenhang um die Bologneser Akademie, daß Annibale Einblick in alle grundlegenden Traktate gehabt hat, wohl nachdrücklich durch seinen Bruder Agostino vermittelt. (Posner 1971 I, 33; vgl. Boschloo 1974, 146 u. 152ff.; Thürlemann 1986, 152, Anm. 27; Scavizzi 1992, 255, und Caroli 1995, 84ff.). Zu Domenichinos Kenntnis der kunsttheoretischen Debatte s. Spear 1982 I, 26 u. 29f., sowie Thürlemann 1986, 153, Anm. 37.
(39) Apg. 7, 55.
(40) Ripa 1603, 304. Zum himmelnden Blick der Märtyrer im Werk Ripas s. Okayama 1992, 166; zur Argumentationsstruktur vgl. Werner 1977.
(41) Bellori 1672, 318.
(42) Ebd.
(43) Le Brun 1668, 117.
(44) Ebd.
(45) Ebd.
(46) Dieser Koinzidenz muß einschränkend angemerkt werden, daß Le Brun seiner 'Stephanussteinigung' (Paris, Notre Dame, 1651; Abb. bei Montagu 1994, Nr. 61) eine andere Kopfhaltung gegeben hat: dort nämlich ist der Kopf des Heiligen zu seiner rechten statt linken Seite geneigt; der 'himmelnde Blick' sowie der leicht geöffente Mund entsprechen sich jedoch mit Annibales invenzioni.
(47) Kat. Windsor 1952, Nr. 365, Abb. 55. Zur Deutung der Schmerzdarstellung s. o., Kap. V.1.3.
(48) Andreas Henning / Gregor J. M. Weber (Hg.): Der himmelnde Blick. Zur Geschichte eines Bildmotivs von Raffael bis Guido Reni, Dresden/Emsdetten 1998.
(49) Lomazzo 1584, II/10, 118.
(50) Ebd.
(51) Ebd.
(52) Ebd.
(53) Ebd., II/16, 145f.
(54) Ebd. Die Laokoongruppe steht als Beispiel für Schmerz, Sterben und Mitleid (ebd., 145).
(55) Die Varianten ebd., 146.
(56) Lomazzo 1584 II/16, 121.
(57) Le Brun 1668, 121. Konstitutiv für diese Affektlage ist die in dieser Form nur einmal in der Akademierede verwendete Verknüpfung hochgedrehter Augen und einem weit geöffneten Mund. Allerdings fügt Le Brun die Darstellung herabgezogener Augenbrauen und anliegender Nasenflügel hinzu, die bei Elsheimer so nicht zu finden sind (vgl. ebd.).
(58) Bulwer 1644, Chirologia, 151, Feld H "Despero".
(59) Leonardo 1520, 382.
(60) Leonardo 1520, ad 148 (S. 285).
(61) Vgl. Bulwer 1644, Chirologia, 15, B. Gebetsgebärden mit zusammengelegten Händen sind mit Ende des 13. Jh. ein Standartgestus papaler Ikonographie (Ladner 1961, 255), die die frühchristlichen Oranten-Stellungen und proskynesis-Haltung ablösen (ebd., 147). Die Geste gefalteter Hände stammt wohl aus feudalem Lehensrecht, wo sie die 'commendatio' anzeigt (ebd., 258). Vgl. TRE XIII, 153, und Demisch 1984, 97, der den Wechsel der Gebetgebärden Mitte des 13. Jh. lokalisiert; Suntrup 1978, 179, sieht 'manus iungere' seit dem 13. Jh. in Gebrauch.
(62) Zu Kodifizierungen der 'genuflexio recta' innerhalb der Consuetudinis monasticae siehe Schmitt 1992, 186ff.
(63) Legenda aurea - Fest 1988, 16. Zudem verkörpert die Kniebeugung seit Konstatin in der christlichen Liturgie auch die 'Ehrfurchtsbezeugung' neben der Buß- und Bittgebärde (Suntrup 1978, 154, und TRE XIII, 152f.).
(64) Vgl. Kap. IV.1.
(65) Leonardo 1520, 372, im Unterschied zum langsamen Erscheinen (ebd.) oder innerer Imagination, wobei letztere nur einfache und leichte Bewegung hervorrufe (ebd., 371).
(66) Ebd., 372.
(67) Bulwer 1644, Chirologia, 151, D; nicht zu verwechseln mit 'protegere' (ebd., O).
(68) TRE XXII, 207. Nach LThK IX, 129, bereits im 2. Jahrhundert definiert.
(69) Baumeister 1991, 31, Anm. 4.
(70) Legner 1995, 13.
(71) Die letzte Sitzung des Trienter Konzils hat die Nützlichkeit der Heiligenverehrung gerade im Hinblick auf ihre Beistandfunktion anerkannt (TRE XIV, 654). Herz 1988, 53f., sondiert römische Märtyrerzyklen für S. Stefano Rotondo (1582), S. Appolinaire (1582), S. Tomaso di Cantobery (1583), SS. Nereus e Achilleus (1597), S. Cesareo (um 1597ff.) und S. Vitale (1603).
(72) Beide Referenzpunkte bereits durch die Legenda aurea kommentiert, wenn sie 'Stephanus' aus dem Lateinischen als die "corona, id est, principium martirium in novo testamento" (Legenda aurea - Fest 1988, 6), aus dem Hebräischen als die "norma, id est, exemplum et regula aliis patienti pro Christo" (ebd.) zu übersetzen sucht.
(73) Die päpstliche Disputation zur Relation menschlicher Freiheit und göttlicher Gnadenwirksamkeit wurde von Clemens VIII. in oberster Kongregation ab 1602 geführt, von Paul V. fortgesetzt und schließlich 1607 ohne abschließende Definition vertagt (vgl. LThK IV, 1002ff.).
(74) Zum Bittgebet Apg. 7, 59, und die ausführliche Kolumne in der Legenda aurea - Benz 1979, 62. Neutestamentliche Parallelstellen zum Bittgebet s. TRE XII, 48.
(75) Die Gebete des Stephanus sind chiastisch zur Passion Christi angeordnet: das Bittgebet für die eigene Seele (Apg. 7,58) korrespondiert mit Lk. 23,46; das Flehen für die Peiniger (Apg. 7,59) parallel zu Lk. 23,34 (vgl. Baumeister 1980, 129f. und Légasse 1992, 142ff.).